Sanctum
Irgendwo oberhalb musste ein Angreifer mit einem Maschinengewehr stehen und das Lager des Zirkus Fratini gnadenlos beharken.
Eric sah an den beiden toten Bewachern vorbei zu dem G3 und seinen Pistolen, die unter dem Tisch lagen. Leider befanden sich Isis und ihr Vater viel näher an den Waffen als er.
»Lasst mich sie nehmen«, rief er gegen den Krach der umherfliegenden Kugeln an. Sie rissen Löcher in die dünne Verkleidung, Fetzen der Dämmwolle flogen umher, der feine Staub kitzelte in Erics Nase. »Wir müssen sie ausschalten.«
Isis zog den Kopf ein, als eine Salve knapp über sie hinwegzischte und die Sitzbank in Stücke schlug.
Eric hob den Kopf und spähte aus dem zerstörten Fenster nach draußen, den Hang hinauf. Er sah das armlange, grellgelbe Mündungsfeuer des MG, das von dem Schützen unaufhörlich nach rechts und links geschwenkt wurde. Gleichzeitig stürmten etwa zehn Gestalten in Schneetarnuniformen im Schutz der unaufhörlichen Salven den Hügel hinab, M16-Sturmgewehre in den Händen. Der Zirkus wurde gestürmt.
Die Mündung des Maschinengewehrs wanderte wieder in ihre Richtung. Eric warf sich flach hin. »Okay, wir müssen raus.« Er wandte den Kopf zu Isis. »Lassen Sie mir …« Er stockte. Die Frau lag auf der Seite, aus etlichen Wunden lief Blut und sammelte sich um ihren Körper. Sie war vom silbernen Hagel erwischt worden.
Ein unmenschliches Brüllen ertönte und Lascar tauchte hinter dem Bett auf, wo er Deckung gesucht hatte. Er war bereits zur Hälfte Eisbär, doch noch wuchsen seine Kiefer, bohrten sich riesige Zähne aus dem Fleisch, formten sich seine Hände zu Furcht erregenden Tatzen. Seine Kleidung wurde von den archaischen Gewalten zerfetzt und fiel zu Boden, begleitet von seinen Schreien, dem kratzenden Geräusch, mit dem der Pelz aus der Haut brach, und dem Krachen der sich verschiebenden Knochen. Als sich Lascar vollends in einen Eisbären verwandelt hatte, durchbrach er die mitgenommene Wand des Wohnwagens spielend leicht. Kaum war er draußen, brach die instabil gewordene Konstruktion ein und begrub Eric unter sich. Zum Glück war es leichter, als er erwartet hatte. Und vor allen Dingen hatte er nun endlich die Möglichkeit, durch die Trümmer zu kriechen und sein G3, die Pistolen und die Kevlarweste zu greifen. Der MG-Schütze hatte sich andere, lohnenswertere Ziele als den zerstörten Wohnwagen gesucht. Die Schreie der Werwesen waren der grausame Beweis.
Er kroch seitlich aus dem Wagen, glitt in den Schnee und sondierte aus seinem Versteck die Lage. Zwei Dutzend Unbekannte arbeiteten sich in Dreierteams und mit militärischer Präzision zwischen den Anhängern vor, sicherten sich gegenseitig – und schossen alles, was sich ihnen in den Weg stellte, nieder. Sie machten keinerlei Unterschied zwischen Mensch und Werwesen.
Eric vermisste die Schrecksekunden, die jeder Mensch normalerweise zeigte, wenn er ein Wandelwesen zu Gesicht bekam. Er verfolgte, wie ein heranstürmender Tiger von ihnen niedergeschossen wurde und sich gleich darauf im Todeskampf in einen Menschen verwandelte. Diese Leute waren speziell trainiert worden, sich nicht um das Aussehen der Gegner zu scheren. Und sie benutzten Silber.
Die erste Welle der Angreifer beschränkte sich darauf, schnell vorzurücken und die Verteidiger mit unentwegten Feuerstößen nach hinten zu treiben, während die zweite in jeden Wagen eindrang.
Sie suchen den Welpen. Eric schaute den Hügel hinauf. Jetzt erkannte er einen Mann an einem MG, das auf einer Standlafette montiert war. Neben ihm kniete sein Ladeschütze; unaufhörlich regneten die heißen Patronenhülsen in den Schnee, zischten und brannten sich einen Weg durch das Weiß. Die Munitionskisten neben dem Schützen und das Austauschrohr für das MG verhießen Eric und den Zirkusleuten tausend Tode.
Eric nahm das G3 hoch, zielte auf den Schützen und drückte ab. Die Kugel traf den Mann genau durch die Unterlippe in den Kopf, gleich danach erlegte Eric den Ladeschützen. Diese Gefahr war vorerst gebannt.
Er warf sich die schusssichere Weste über, rannte vornüber gebeugt zu den Wagen, um die zweite, langsamere Einheit der Angreifer zu umgehen. Eric ließ sich nicht auf ein Feuergefecht ein, er wollte nur den Welpen haben. Sollten sich die Wandelwesen und die Angreifer gegenseitig vernichten, seine Erlaubnis dazu hatten sie.
Eric erkannte jedoch nach ein paar Schritten, dass aus seinem Vorhaben nichts werden würde. Nicht ohne Ablenkung. Er kniete sich unter
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