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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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sah ihn erstaunt an. »Mon Seigneur, dann wisst Ihr es nicht?«
    »Was meint Ihr?«
    »Euer Sohn hatte in jungen Jahren eine Liaison mit einer Madame Du Mont, aus der ein Kind erwuchs … ein Bestienkind. Madame Du Mont gab das Kind in meine Obhut, ich nannte es Florence und zog es in meinem Kloster groß. Es gelang uns, sie mit Hilfe eines Heilmittels von dem Fluch zu erlösen, aber zuvor brachte sie ein Kind zur Welt. Einen Sohn.«
    Der Marquis stand abrupt auf. »Beim Allmächtigen! Ich habe eine Enkelin und einen Urenkel?« Er kam auf Gregoria zu und ging vor ihr auf die Knie. Sarai hielt sich bereit, notfalls einzugreifen. Gregoria hoffte, dass das Herz des älteren Mannes stark genug war, um bei dem neuerlichen Schmerz nicht stehen zu bleiben.
    »Madame, treibt keinen Schabernack mit mir! Versprecht, dass Ihr die Wahrheit sagt!«
    »Wen, denkt Ihr, habt Ihr vor Euch, mon Seigneur?«, erwiderte sie freundlich und nahm seine Hand. »Was wir beide erlebten, ist grausam genug. Ja, Ihr habt eine wunderschöne, kluge Enkelin und einen kleinen Urenkel, den Euer Sohn hierher verschleppte.«
    Er stand auf, sammelte sich und betrachtete die Flasche auf seinem Schreibtisch. Anstatt sich wieder von dem Weinbrand einzuschenken, betätigte er die Klingel, rief einen Diener zu sich und bestellte eine Kanne Kaffee. »Ich brauche einen klaren Kopf und meine gesamte Energie«, sagte er zu Gregoria und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. »Wir werden das Rätsel um Monsieur Chastel und meinen Enkel nur lösen, wenn wir die beiden gefunden haben.« Er nahm Papier und Federkiel zur Hand und setzte ein Schreiben auf. »Ich lasse sofort meine besten Jäger und Treiber zusammenrufen.«
    »Haltet Ihr einen solchen Aufwand für gut?«, meinte sie vorsichtig.
    »Habt Ihr denn eine bessere Idee?«, gab er zurück, ohne aufzuschauen. »Erinnert Euch an die Treibjagden, Madame Montclair. Nur suchen wir dieses Mal ein kleines Kind und keine Bestie.«
    »Und Monsieur Chastel?«
    Der Marquis sah sie kurz an, die Hand mit der Feder hielt inne. »Wir werden ihn finden, Madame. Keine Sorge, ich werde meine Männer anweisen, dass sie Monsieur Chastel lebend fangen.« Er legte den Federkiel hin, stand auf und ging zu einem großen Schrank, öffnete eine Schublade und nahm eine Karte heraus, die er auf seinem Tisch entrollte; darauf war das Gevaudan mit all seinen Pfarreien eingezeichnet, teilweise sah Gregoria noch Markierungen, die von den Jagden auf die Bestie stammten.
    »Das wird uns helfen«, meinte er und nahm wieder Platz. Der Kaffee wurde gebracht; auch Gregoria und Sarai ließen sich einschenken. »Bevor wir uns auf die Suche begeben, möchte ich alles wissen, was Ihr über meinen Sohn in Erfahrung gebracht habt. Es scheint mir einiges entgangen zu sein. Und ich möchte mehr über meine Enkelin hören. Florence ist ihr Name, nicht wahr?«
    Gregoria nickte und begann. Es wurde ein langer Nachmittag.

    Abends kniete Gregoria vor ihrem Bett in dem riesigen Gemach, das ihr der Marquis zur Verfügung gestellt hatte; Sarai würde im Zimmer nebenan schlafen, bevor sie morgen mit ihm zusammen die Treiber und Jäger aufstellten.
    Sie hatte die Ellbogen auf die Matratze gestützt und betete lautlos zum Heiland, damit er Jean und Marianna beschützte, doch es wollte ihr nicht recht gelingen. Es gab zu viele Sorgen. Seufzend erhob sie sich und sah aus dem Fenster.
    Der Nebel war gewichen. Vom obersten Stock aus hatte man einen herrlichen Blick über das schneebedeckte Gevaudan, die weitläufigen Ebenen vor den Bergen und die dichten, verschneiten Wälder. Irgendwo dort befand sich Jean.
    Die weißen Baumkronen verwandelten sich vor Gregorias innerem Auge in weiße Dächer, die Dächer Roms, unter denen die Intrigen gegen die Jesuiten ihren ersten Höhepunkt erreicht hatten: Papst Klemens XIII. der Jesuitenfreund, war tot, gestorben unter merkwürdigen Umständen.
    Gregoria erinnerte sich sehr genau an den 2. Februar und das Treffen mit Lentolo. »Es ist so weit. Heute wird der nächste Pfeiler eingerammt, Äbtissin«, hatte er zu ihr gesagt und dabei derart siegessicher gelächelt, dass ihr unwohl wurde. »Eure Schwestern sind an die Adelshöfe nach Frankreich und Spanien gesandt worden, um unsere Ideen in aller Heimlichkeit zu verbreiten, jetzt ist der nächste Pfeiler an der Reihe.«
    »Wieso heute?«, hatte sie behutsam eingeworfen. »Ich dachte, das Treffen der Kardinäle findet erst morgen statt.«
    »Nun, es wird nicht stattfinden, Äbtissin.

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