Sanctum
Denn der Heilige Vater wird nicht erscheinen, sondern tot in seinem Bett aufgefunden werden. Die Jesuiten werden ihn auf alle möglichen Giftarten untersuchen und doch nichts finden, während wir vorbereitet sind«, hatte er geantwortet und nicht einmal den Versuch unternommen, die Freude in seinem Gesicht und den trübbraunen Augen zu überspielen. »Bevor Ihr mich bezichtigt, ich hätte etwas damit zu tun: Das Sanctum zeigte es mir in einer Epiphanie.« Lentolo hatte sich mit dem kleinen Finger der rechten Hand gegen die Brust geklopft. »Ein altes Herz übersteht eine solche bildgewaltige Flut an Sinneseindrücken oftmals nicht. Man stelle sich vor, wenn der Heilige Vater eine ebensolche, noch viel stärkere erleben müsste?«
Damit war es Gregoria klar geworden: Sie hatten Papst Klemens XIII. mit dem Heiligsten getötet, was es auf der Welt gab.
Sie wusste, dass derzeit in einem Konklave heftig um die Neubesetzung gerungen wurde. Es würde sich zeigen, ob Lentolo und sein geheimnisvoller Kardinal die richtigen Fäden gezogen hatten, um ihren Kandidaten, Kardinal Ganganelli, auf den Heiligen Stuhl zu setzen. Das zumindest war ihr von Lentolo mitgeteilt worden, der an diesem Tag beinahe vor Stolz geplatzt wäre.
»Bald sind wir die Jesuiten los, Äbtissin«, hatte er getönt. »Eure Nonnen machen die Meinung, wir machen den Papst. Zusammen beenden wir den Einfluss der Societas Jesu.«
Gregoria wusste nicht viel über Ganganelli. Er war Franziskaner und angeblich Berater der Inquisition gewesen, bevor er 1759 zum Kardinal ernannt wurde. Sobald sie wieder in Rom war, würde sie den neuen Papst – wer auch immer es werden sollte – um eine Audienz bitten. Sie würde ihm den Kampf gegen die Bestien ans Herz legen, ganz gleich, ob es einen Rotonda gab oder nicht. Es waren genügend Nachfolger da, die seine Ideen vertraten.
Es klopfte leise gegen die Tür, und sie hörte Sarais Stimme. »Komm herein«, rief sie.
Die Seraph betrat ihr Gemach und verbeugte sich vor ihr. »Verzeiht die Störung, ehrwürdige Äbtissin, aber ich …« Sie suchte nach den richtigen Worten. »Ich zermartere mir den Verstand und komme nicht auf die Lösung. Das Sanctum, ehrwürdige Äbtissin. Wieso hat es bei Monsieur Chastel versagt?«
Die gleiche Frage hatte sie sich ebenfalls gestellt. »Ich denke nicht, dass es versagt hat.« Sie bedeutete der jungen Frau, sich neben das Bett auf den Stuhl zu setzen, sie selbst lief im Zimmer auf und ab. »Es bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder, er hat zu lange gezögert, es zu nehmen – oder er konnte es nicht.«
»Also glaubt Ihr, dass er sich wirklich in eine Bestie verwandelt hat?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht nahm er es und es gab bei ihm … Nebenwirkungen.« Sie dachte an Roscolios Tod. »Eine zu starke Dosierung, die ihn durch die Visionen verwirrt hat.«
Sarai senkte den Kopf, der Zopf rutschte über ihre Schulter und baumelte vor ihrer Brust. »Ich hoffe, dass wir Monsieur Chastel finden können.«
Gregoria lächelte schwach. »Ja, Sarai. Dann werden wir alles unternehmen, damit er eine Heilung erfährt. Es wird alles gut, der Herr ist mit uns.«
»Dann will ich Euch nicht länger vom Schlafen abhalten, ehrwürdige Äbtissin.« Sie stand auf, verneigte sich und verließ das Gemach.
Gregoria ging zum Fenster und sah wieder hinaus. Ein starker Wind war aufgekommen und presste die Kälte von den Gipfeln der Drei Berge durch die Ritzen, so dass die Kerze, die auf dem Sims stand, flackerte und tanzte.
Sie bewunderte den alten Marquis für seine Stärke. Er blieb aufrecht und bekannte sich zu dem, was sein Sohn angerichtet hatte, übernahm Verantwortung. Es hatte ihr Leid getan, seinen Wunsch ablehnen zu müssen, Florence zu besuchen. Es war zu früh. Sie würde Marianna vorerst im Alsace vor allen Augen und Händen bewahren, ganz gleich, ob sie gute oder schlechte Absichten hegten. Sarai hatte Florence viel beigebracht und sich nur lobend über ihren Kampfgeist geäußert.
Fröstelnd wich sie vor dem Fenster zurück, entkleidete und wusch sich, danach huschte sie in ihrem Nachthemd unter die Decke und schloss die Augen. Gregoria wollte auf ihren Traum von der kleinen, heimlichen Familie nicht verzichten. Jean, Florence, Marianna und sie gehörten zusammen. Ein Leben lang.
Dafür würde sie alles tun.
XXV.
KAPITEL
Frankreich, Saugues, 4. Dezember 2004, 02.35 Uhr
Eric robbte über den Boden des Wohnwagens, während die Gewehrgarben immer neue Löcher in die Wände stanzten.
Weitere Kostenlose Bücher