Sanctum
Gedanken waren noch zu wirr, zu sehr von den Eindrücken der Bestie verseucht und beeinflusst.
Der Polizeiwagen stand weiter weg vom Krankenhaus geparkt. Mit ihm sollte es kein Problem sein, bis zur grünen Grenze nach Bosnien-Herzegowina zu gelangen und sich zu einem Flughafen durchzuschlagen. Der Pilot der Dornier hatte ihm gesagt, dass er für Geld überall landete, wo es einen geraden Platz gab. Um den Verlust seiner Ausrüstung tat es ihm Leid, aber es ließ sich nun einmal nicht ändern. Er besaß genug davon.
Eric stieg ein und setzte das Gefährt in Bewegung. Ruckelnd, aber gleichmäßig ratternd gehorchte es seinen Anweisungen. Es ging Richtung Süden, und als er die Stadt verließ, fiel ihm plötzlich jemand ein, den er in Rom um Beistand bitten konnte.
Am Abend fand eine Polizeimannschaft den Wagen in einem Waldstück nahe der Grenze. Vom Fahrer fehlte jede Spur.
VIII.
KAPITEL
21. September 1767, Italien, Rom
Jean lag auf seinem Bett und lauschte auf Geräusche im Treppenhaus und vor seiner Tür.
Seine Muskete hatte er unter einer losen Bodendiele versteckt, weil er nicht genau wusste, ob man ihn bei seiner Tat beobachtet hatte und man ihn anhand der Waffe überführen konnte. Er ärgerte sich, dass er nicht früher daran gedacht hatte, sich eine Position zu suchen, von der er auch den Hinterausgang des Bordells einsah. Deswegen hatte ein Unschuldiger sein Leben verloren.
Wieder hatte die Bestie zwei Tote gefordert: einmal die arme Passione, angesteckt durch den wahnsinnigen Comte, und den Mann, der durch einen unglücklichen Zufall zur falschen Zeit unterwegs gewesen war.
Im Viertel, in dem er wohnte, wimmelte es nach der Tat von Stadtwachen. Jean wagte es nicht, sich in dieser Nacht auf die Suche nach den Kumpanen des Comtes zu machen. Lieber würde er auf den nächsten Morgen warten, da war es unverfänglicher, auf der Straße unterwegs zu sein. Auf sein Gewehr würde er fortan verzichten und die beiden Pistolen gut unter seinem Rock oder einem Mantel verbergen.
Er wälzte sich vom Rücken zur Seite, sah aus dem Fenster –
– und erschrak. Auf der anderen Seite der Gasse sah er eine Silhouette auf dem Dach … die Silhouette der Bestie! Sie saß zusammengekauert und beobachtete ihn aus Augen, die in der Dunkelheit glühten! Jean riss seine Waffe hoch und zielte. Bevor er abdrücken konnte –
– bemerkte er seinen Irrtum. Das, was er sah, war in Wirklichkeit ein halb eingefallener Kamin, durch den glühende Funken nach oben gestiegen waren und die Illusion schufen, der Loup-Garou habe ihn gefunden. Jean stieß die Luft aus. Jetzt verfolgte die Kreatur ihn nicht nur in seinen Träumen und in seinem Leben, jetzt glaubte er auch schon, sie überall zu erkennen.
Es begann zu regnen, nicht stark, aber doch so, dass ein gleichmäßiges, leises Rauschen zu hören war. Leise Rufe der Stadtwachen hallten durch die engen Gassen und drangen durch das geöffnete Fenster zu ihm herein. Jean fand das beruhigend und döste ein.
Schritte!
Jean schreckte auf. Er hatte Schritte auf der Treppe vernommen. Leise glitt er aus dem Bett, nahm seine beiden Pistolen und stellte sich neben den Eingang.
Jemand näherte sich seiner Tür, die Holzdielen knarrten. Jean hörte eine leise, undeutliche Frauenstimme. »Jean?«
Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass es in dieser kleinen Herberge noch einen Mann mit einem französischen Namen gab, also galt der Besuch unzweifelhaft ihm. Die Frage, die er sich stellen musste, war: Wollte er ihn auch empfangen? Er kannte niemanden in Rom. Aber die Stimme … sie kam ihm eigenartig bekannt vor …
Behutsam öffnete er die Tür einen Spalt und sah eine Gestalt in einem schmutzigen braunen Umhang, die gerade zur Nachbartür weiterging. Die Gestalt wandte sich zu ihm, und er sah – in Gregorias geliebtes Gesicht! Die Freude schoss wie ein Blitz durch ihn, machte sein Herz auf der Stelle leichter und hob die Schatten von seinem Gemüt.
»Gregoria«, sagte er leise und winkte ihr mit der Pistole zu. »Rasch, hierher!« Sie huschte an ihm vorbei, er schloss die Tür hinter ihr und legte die Pistolen auf den Tisch.
Gregoria legte den Mantel ab, darunter trug sie ein schlichtes graues Kleid, die Haare verbargen sich unter einem schwarzen Kopftuch. Er sah ihr an, dass sie ihn am liebsten umarmt und geküsst hätte, doch sie verbot es sich selbst.
Aus Respekt vor ihr beherrschte er seine überschwänglichen Empfindungen und das Verlangen, sie festzuhalten und an sich zu
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