Sanctum
gibt aber keinen«, sagte Gregoria fordernd und ging weiter. »Bitte, Jean! Es ist eilig!«
Fluchend stieß er sich von den Steinen ab und marschierte hinter ihr her. Da er nicht mehr sprechen konnte, machte er sich eigene Gedanken zu dem, was er von Gregoria gehört hatte, aber lüften würde sich der Schleier erst, wenn sie ihn vollends in Kenntnis setzte.
Endlich erreichten sie die Porta Portese. Gregoria führte Jean hinaus, und sie schlichen über die Brücke und über das Feld bis an die Mulde. Es fiel der Äbtissin sofort auf, dass keine Stimmen mehr aus der Senke zu vernehmen waren. Als sie sich ihr kriechend genähert hatten, sahen sie, dass sich tatsächlich keine der Wachen mehr dort befand.
»Warte hier.« Jean stand auf, nahm die Muskete halb in den Anschlag und ging gebückt in die Mulde hinab, schaute sich um und spähte durch das Guckloch in der eisenbeschlagenen Tür; schließlich rief er Gregoria zu sich und stellte den Kolben der Muskete auf den Boden. »Sie sind weg.« Er richtete seine Augen auf den Boden. »Sie haben die Gefangene aus den Katakomben geholt und sie auf einen Wagen verladen.« Er zeigte auf die Spuren. »Hier wurde sie hochgeschleift. Weiter hinten habe ich frische Radabdrücke gesehen, die über den Graben laufen.«
»Zu spät«, flüsterte Gregoria entsetzt und lief zur Tür. So sehr sie daran rüttelte, sie öffnete sich nicht. »Sie haben das Kind in die Engelsburg gebracht! Dort werden wir sie niemals befreien können. Die Festung des Papstes ist zu stark bewacht und …« Sie brach in Tränen aus. »Florence«, weinte sie. »Ich hatte die Gelegenheit, sie zu retten, aber …«
Jean lehnte die Muskete an die Wand und nahm Gregoria behutsam in die Arme, barg ihren Kopf an seiner Schulter und bot ihr Halt. Sie schlang die Arme um ihn und ließ ihren Gefühlen freien Lauf. So standen sie geraume Zeit, keiner wusste genau, wie lange.
Irgendwann hatte sich Gregoria wieder beruhigt, sie ließ Jean los und machte einen Schritt zurück. »Danke«, sagte sie heiser und wischte sich die Tränen mit den Ärmeln ab. »Was tun wir jetzt?«
Jean zog eine Pistole. »Schauen wir nach, was sich hinter der Tür verbirgt.« Er setzte die Mündung seiner Muskete aufs Schloss und drückte ab; laut krachend rollte die Detonation durch die Nacht. Jean zog die zusätzlichen Riegel zurück und warf sich ein paar Mal dagegen, dann gab die Tür nach und er stolperte ins dunkle Innere.
Es roch nach Raubtier und Exkrementen, nach dem süßlichen Geruch von verwesendem Fleisch. Gregoria entzündete eine der zurückgelassenen Lampen und brachte Licht in den schmalen Gang.
Sie mussten nicht lange gehen, bis sie eine zweite, ebenso massive Tür fanden, die offen stand. Der warme Schein der Lampe beleuchtete einen verdreckten, gestampften Boden, der mit zerbrochenen Knochen übersät war; an den Wänden hingen eiserne Schellen, mit denen man bis zu vier Personen unbeweglich fixieren konnte. Die Wand dahinter war mit getrocknetem Blut beschmiert, das von den Gefangenen stammen musste, die sich den Rücken an den Steinen durchgescheuert hatten.
Gregoria hob die Kerze, damit sie mehr von den Malereien erkennen konnte. »Eine jüdische Grabkammer«, stellte sie fest.
»Das passt zu den Pfaffen«, meinte Jean verächtlich. »Aus Angst, ihren Gott zu verärgern, indem sie christliche Gräber mit ihren Taten schänden, gehen sie zu den Juden.«
Sie antwortete darauf nichts und zeigte auf eine weitere, sehr schmale Tür. »Da geht es weiter!«
Jean betrachtete das Schloss. »Ich kann es ebenfalls aufschießen.« Er spähte durch die Gitterstäbe, die in Augenhöhe in die Tür eingelassen worden waren, und verlangte die Kerze. Die Flamme flackerte, als er sie emporhob. »Da ist ein Gang, aber er sieht aus, als sei er lange nicht mehr benutzt worden.« Er zeigte auf den Staubfilm am Boden. »Die Mühe können wir uns sparen.« Jean drehte sich zu ihr und berührte sie an der Schulter. »Lass uns verschwinden, bevor jemand nachschauen kommt, was es mit dem Schuss auf sich hat. Wir beraten an einem ruhigen Ort, was zu tun ist.«
Gregoria nickte schwach. Diesen Kampf hatte sie verloren, doch dafür war sie entschlossen, den Krieg fortzusetzen. Nach der Methode, die ihr Lentolo vorgeschlagen hatte, denn anders schien es nicht zu funktionieren. »Gehen wir zu mir, da können wir ungestört reden.«
Sie verließen das Verlies, gingen vorsichtshalber in einem weiten Bogen zur Porta Portese und erreichten nach
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