Sanctum
der Mitte der einstigen römischen Arena in Gedenken an die christlichen Märtyrer errichtet worden war, und nicht nach oben, nicht zu den hohen Wänden des Kolosseums, in deren Schatten Jean lag. Er beschützte sie mit seiner Muskete und würde ihr die Flucht ermöglichen, falls es notwendig sein sollte.
Gerade als sie des Wartens überdrüssig wurde, kam eine Gestalt den linken Eingang herein, gekleidet wie ein einfacher Händler und mit einem leichten, geflochtenen Käfig ausgestattet, in dem drei Hühner gackerten. Gregoria erkannte den Mann sofort wieder. Es war Lentolo.
Er stellte den Korb auf der Bank neben ihr ab, sah nach vorn zum Kreuz und faltete die Hände zum scheinbaren Gebet. »Ihr habt für ganz schöne Aufregung gesorgt«, sagte er und bewegte die Lippen dabei kaum. »Der Einbruch in Rotondas Arbeitszimmer zeugt von Eurem Mut und Eurem Willen, etwas zu unternehmen, aber leider nicht von Geduld und Taktik.« Er schaute zu Boden. »Wir haben es nun mit einem aufgescheuchten Feind zu tun, der seit Eurem Einbruch noch aufmerksamer geworden ist.«
»Dafür habe ich etwas in Erfahrung gebracht, was auch für Euch von Interesse sein kann.« Gregoria blickte geradeaus, als würde sie mit sich selbst sprechen. »Ich bedauere meinen Einbruch nicht. Ich habe das Gefängnis meines Mündels gefunden. Die jüdischen Katakomben vor der Porta Portese.«
»Man hat sie aber weggebracht, nehme ich an? Als Reaktion auf Euren Einbruch?«
Gregoria nickte leicht. »In die Engelsburg, fürchte ich.«
Lentolo schwieg. »Habt Ihr Euch mein Angebot überlegt?« Er klang nicht so, als spielte Florences Schicksal für ihn eine große Rolle.
»Ich musste einsehen, dass ich es allein nicht schaffe, mich mit Rotonda und seinen Freunden zu messen und sie zu besiegen.« Sie wischte sich ein wenig Staub vom Rock. »Ich werde Euer Angebot annehmen«, sagte sie, »wenn Ihr bereit seid mir zu geben, was ich mir vorstelle. Ich habe Forderungen. Vor allen anderen Interessen Eures mächtigen Freundes steht für mich die Befreiung von Florence, danach können wir uns daran machen, die weltweite Verbreitung der Wandelwesen nach und nach einzudämmen. Und zwar nicht, indem wir sie töten, sondern indem wir sie von ihrer Krankheit heilen. Stimmt Ihr zu, habt Ihr die Frau gefunden, die an der Spitze Eures Ordens stehen wird.«
»Ich verstehe Eure Beweggründe, diese Forderung zu erheben, doch werde nicht ich darüber entscheiden können.« Lentolo verneigte sich vor dem Kreuz. »Wie ich Euch sagte, werdet Ihr unseren Gönner kennen lernen. Er allein kann eine solche Entscheidung treffen, nicht ich.« Er nahm eine Trinkflasche vom Gürtel, goss sich Wasser in die hohle Hand und benetzte den Nacken, danach sein Gesicht. »Übrigens wird Monsieur Chastel, der oben neben dem Pfeiler ausharrt und Euch so brav unterstützt, ein gern gesehener Gast bei der Unterredung sein. Der Mann, der im Kampf mindestens eine Bestie erlegt hat, ist hoch angesehen und willkommen. Seine Schießkünste werden bald schon gefragt sein.« Lentolo richtete sich auf und schlenderte auf den Ausgang zu, den Käfig mit den Hühnern schulternd. »Folgt mir mit ein wenig Abstand.«
Gregoria hob die Augen, schaute zu Jean und machte eins der Zeichen, auf das sie sich vorher mit ihm verständigt hatte. Dann wartete sie kurz, und als Lentolo zehn Schritte von ihr entfernt war, stand sie auf und machte sich langsam auf den Weg.
Wie aus dem Nichts stieß Jean aus einer Seitengasse zu ihr. Auf seiner Schulter trug er ein Bündel mit Reisig, in dem er die Muskete vor neugierigen Blicken verbarg. »Wo geht ihr beiden hin?«
»Wir drei treffen den Mann, der hinter der Idee der Ordensgründung steckt«, gab sie zurück.
»Ich soll mitkommen?«
»Ja. Sie haben wohl noch Dinge mit dir vor, die im Zusammenhang mit dem Orden stehen.«
Er verzog das Gesicht. »Das schmeckt mir nicht.«
»Wenn es eine Falle von Rotonda wäre, hätte er uns schon lange von seinen Helfern umbringen lassen können. Sie wussten genau, dass du dort oben warst.« Gregoria berührte seinen Oberarm. »Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns auf das Abenteuer einzulassen.«
Jean stieß unzufrieden die Luft aus, wusste aber nicht, was er erwidern konnte. Es war wohl das Beste, wenn er das unerwartete Treffen als gute Gelegenheit sah, über die bestialischen Morde in der Stadt zu sprechen, die bislang von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wurden. Das wunderte Jean sehr. Rom war sicher keine
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