Sanctum
nicht mehr und besaß anscheinend keine sonstigen Waffen, um sich zu verteidigen.
Jean sprang hinüber aufs Dach und landete auf der Schräge. Die Wahl, vor der er stand, war mehr als eine Qual: Schoss er auf den Panter, ging ihm Bernini verloren, schnappte er sich diesen, würde ihn der Panter angreifen. Und egal, wie er sich entschied, die Seraph drohte vom Dach zu stürzen!
Es blieb nur eine Möglichkeit.
»Judith, wach auf!«, brüllte er gegen das Tosen des Windes und ließ sich vorsichtig auf der Schräge nach unten gleiten, um zu ihr zu gelangen. Ihre Füße hingen bereits über die Kante, der Rest des Körpers rutschte langsam nach. »Öffne die Augen, Kind!«
Sie blieb ohnmächtig, seitlich aus ihrem Schädel rann das Blut aus einer breiten Platzwunde über die Haare und wurde vom Regen weggespült; inzwischen baumelten die Beine über der Straße, nur der Oberkörper lag noch auf.
Jean bekam das Schulterstück ihres Kleids zu fassen, als die Schwerkraft sich ihrer bemächtigte und sie abrutschte. Sie zog ihn mit nach vorn, er keuchte auf, rammte seine Fersen fest gegen die Ziegel und zerbrach sie, fand in den Löchern Halt.
Judiths lebloser Körper pendelte frei in zehn Schritt Höhe über dem Kopfsteinpflaster, Jeans Finger hatten sich in den nassen Stoff ihrer Kleider verkrallt, und er hing mit dem Oberkörper ebenfalls weit nach vorn über. Er hoffte, dass die Ziegel dem Druck, den die Stiefel ausübten, standhielten.
Stöhnend richtete er sich auf, sein Kreuz verursachte ihm dabei heftigste Schmerzen. Lange konnte er diese Belastung nicht aushalten!
Jean hatte Judith bereits zur Hälfte zu sich hochgezogen, als die Ziegel doch nachgaben. Der gebrannte Lehm zersprang aber nicht unter seinen Stiefeln, sondern unter seinem Gesäß. Er brach rücklings durch das Dach, hielt die Finger eisern in Judiths Kleid geklammert und zog sie einfach mit sich.
Er fiel nicht tief, einen Schritt höchstens, ehe er auf groben Holzbrettern aufschlug und Judith auf ihm landete.
Um sie herum herrschte Dunkelheit, es roch nach getrocknetem Fleisch. Sie lagen auf dem Dachboden, den die Bewohner des Hauses als Vorratskammer nutzten.
Jean rollte das bewusstlose Mädchen von sich herunter und lauschte auf das Schlagen in ihrer Brust. Das Herz schlug kräftig, sie war lediglich ohnmächtig und schien sogar langsam wieder zu sich zu kommen, würde ihm aber nicht mehr bei der Jagd helfen können. »Bleib und ruh dich aus«, sagte er zu ihr und bettete sie rasch etwas bequemer dann stieg er wieder aus dem Loch aufs Dach und erklomm die Schräge, bis er das flache Stück erreichte.
Von dem Panter und Bernini fehlte jede Spur.
»Verflucht!« Er eilte weiter und war darauf gefasst, jeden Augenblick vor der zerfetzten Leiche des Mannes zu stehen.
Als er am Rand des Daches ankam und hinunter auf die Straße schaute, erkannte er Bernini, der mit dem Rücken an einer Hauswand stand. Der große Panter saß vor ihm, voller Ruhe trotz des strömenden Regens. Nur die Schweifspitze zuckte.
Was machen sie da unten?
Jean sprang auf den nächstliegenden Balkon, schwang sich von dort auf ein Vordach, von da auf die Bretter eines Holzschuppens und schließlich auf den Boden. Er zog seine Waffen und näherte sich der Stelle, wo Mensch und Wandelwesen warteten.
Der Panter sah mit der unnachahmlichen Arroganz einer Katze über die Schulter nach Jean, ließ ein warnendes Fauchen erklingen und zeigte die langen Fangzähne.
»Ich kann dir nicht erlauben, durch Rom zu streifen und Menschen zu töten«, sagte Jean ruhig und näherte sich weiterhin. »Bernini muss mir sagen, wo ich den Comte finde, du darfst ihm nichts tun. Wir haben den gleichen Gegner.«
Der Panter erhob sich und machte ein paar bedächtige Schritte auf seine Beute zu; dabei erklang das Knirschen und Krachen von Knochen, der Körper verformte sich, wurde größer und menschlicher, verlor seine animalische Eleganz. Aus dem Panter formte sich ein Mischwesen aus Mensch und Tier, das sich vor Bernini auf die Hinterbeine erhob und die Hand nach seiner Kehle ausstreckte. Es sah graziler aus als die Bestie in seiner Halbform, doch nicht weniger gefährlich.
Bernini rührte sich nicht und starrte mit riesigen Augen auf das, was sich für ihn nur aus abgründigen Albträumen befreit haben konnte und nun doch lebendig vor ihm stand. Die Angst lähmte ihn.
»Vielleicht haben wir den gleichen Gegner, sind aber selbst auch welche«, sprach das Wesen grollend zu Jean, der die spitzen
Weitere Kostenlose Bücher