Sanctum
Bestie, kaum im Stande, sich ernsthaft zu wehren.«
»Du unterschätzt sie«, warnte Gregoria sachte. »Der Tod von Bathseba ist schrecklich, doch sie lernen daraus. Wir bekamen fünf Seraphim, die einzeln dastanden. Heute sehe ich in ihren Gesichtern, dass sie das Erlebnis zu einer Gemeinschaft verbunden hat.« Sie legte ihre Hand auf seine. »Ich bin mir sicher, Jean. Dir war auch keine Gelegenheit gegeben worden, dich auf das vorzubereiten, was du mit mir zusammen im Gevaudan erlebt hast.«
»Und ich brauchte drei Jahre, bis wir den Schrecken beendeten. Nein, bis wir einen«, er hob seinen Zeigefinger, »Schrecken beendeten. Der zweite«, er spreizte den Mittelfinger, »läuft immer noch herum. Wenn der Comte tot und Florence befreit ist, dann kann ich ruhig schlafen.«
»Was ist mit dem Panter?«
Jean dachte lange nach. »Ich gestehe, dass er mich verwirrt.« Er sah auf ihre schneeweiße Hand und genoss die Wärme, die durch die Haut in sein Blut floss und bis zu seinem Herzen und zu seinem Verstand gepumpt wurde. »Bei unserer ersten Begegnung wäre es ihm ein Leichtes gewesen, mich anzufallen, und bei unserer zweiten wäre es noch einfacher gewesen, mich vom Dach zu stoßen oder mir sonst Schaden zuzufügen. Aber diese Bestie tat es nicht.« Er sah in ihre graubraunen Augen, die ihn aufmerksam anschauten. »Der Panter warnte mich mit Blicken davor, mich einzumischen. Später, als wir uns erneut gegenüberstanden, sagte er deutlich, dass er sich nicht um uns schert.«
»Er ist ein Mann?«
Jean rief sich den Anblick des Mischwesens vor Augen und zuckte mit den Schultern. »Sehr wahrscheinlich.«
Sie runzelte die Stirn. »Wenn er nichts von uns wollte, wieso tötete er Bathseba?«
Er sah den Angriff und die beiden Kämpfenden vor sich. Den überlegen schnellen Panter und die unerfahrene Seraph. Die Vorwürfe kehrten zu ihm zurück wie Laub, das man gegen den Wind geworfen hatte. »Ich weiß es nicht«, raunte er. »Er ist … er ist eben doch nicht mehr als eine Bestie, böse durch und durch. Es gibt keine Ausnahmen, auch wenn ich versucht war, daran zu zweifeln …«
Gregoria schwieg eine Weile und nahm die Hand nicht von Jeans. Das Geheimnis, das sie schon so lange mit sich herumtrug und vor ihm verbarg, ausgerechnet vor ihm, dem sie vertraute wie sonst keinem Menschen, musste gelüftet werden. »Ich will dir etwas offenbaren«, begann sie vorsichtig. »Es geht … es geht um Florence.«
Jean sah ihr an, dass es ihr schwer fiel. »Gibt es Neues? Hat Lentolo etwas über ihren Aufenthaltsort erfahren?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist eine Sache, die ich dir schon lange beichten wollte. Florence ist …«
»Was, Gregoria? Was ist mit ihr?«
»Sie ist ebenfalls eine Bestie.«
Er starrte sie an, die Finger ließen das Tintenfass los. Es fiel auf den Tisch, schlug zweimal auf und lag still. Sein Mund war wie ausgetrocknet, und er musste mehrmals schlucken.
»Seit wann?«
»Schon sehr lange. Vergib mir, Jean.« Sie ergriff seine Finger mit beiden Händen und legte die Stirn auf seinen Unterarm. »Vergib mir, dass ich es dir nicht früher gesagt habe.«
»Wer hat sie zu dem gemacht? Der Comte oder Antoine?«
»Keiner von beiden. Florence ist als Bestie geboren worden«, entgegnete sie und blickte ihm in die Augen, um seine Gefühle zu ergründen. »Als sie ihre erste Blutung bekam, verwandelte sie sich in ein Monstrum, immer in den Vollmondnächten. Wir sperrten sie ein und suchten ein Heilmittel. Du weißt, wie sie ist, Jean: Sie ist ohne Falschheit und hat ein gutes Herz! Nur wenn dieser Wahnsinn sie befiel, konnte sie sich nicht beherrschen. Sie tobte und wütete und glaubte dennoch nach jedem Erwachen, dass sie wieder einen Anfall von Fallsucht gehabt hätte.«
»Jetzt verstehe ich, wo das Weibchen geblieben ist«, flüsterte er und schaute durch sie hindurch. »All die Jahre haben wir die Bestie zu stellen gesucht, dabei stand sie unmittelbar vor uns.« Er zog seine Hände langsam zurück und starrte sie an. »Du hättest es mir sagen müssen, Gregoria«, sagte er vorwurfsvoll. »Ich besaß eine Rezeptur zur Heilung und hätte lediglich das Blut der Bestie benötigt, die Antoine gebissen hatte.« Er sank in seinen Stuhl, schluckte, dann schlug er die Hände vors Gesicht, um nicht Worte zu sagen, die er bereuen würde. Er atmete tief ein und aus und nahm die Finger wieder weg. »Florence war der Schlüssel.«
»Diese Rezepturen taugen nichts, Jean. Es hätte dir nichts gebracht, wenn ich es
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