Sanctum
»Ich bin …«
Ihr Körper sackte zusammen.
Judith schluchzte laut auf und bekreuzigte sich.
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen. Der Regen fiel ungerührt auf den Mann hernieder, der den toten Körper seiner Schutzbefohlenen im Arm hielt. Bathsebas Blut lief in die Gosse und wurde vom Wasser davongetragen, bis nichts mehr aus den Wunden floss.
Jean fühlte sich blind und taub. Eine unglaubliche Leere hielt ihn in ihren hundert dunklen Armen gefangen. Er war nicht einmal in der Lage, etwas zu Judith zu sagen, die sich neben ihrer Freundin zusammengekrümmt hatte. Der Tag endete mit einer vollkommenen Niederlage. Und mit der Erkenntnis, dass die Jagd gefährlicher war, als sie es sich jemals vorgestellt hatten.
6. November 1767, Italien, Rom
Jean saß in seinem Arbeitszimmer im Erdgeschoss, das gegenüber von Gregorias lag, und schaute über den Schreibtisch hinweg in die Gesichter von Debora, Sarai und Judith, die stumm in einer Reihe vor ihm standen. Sie brachten ihm die neuen Gerüchte aus Trastevere, wo sie Bathseba verloren hatten. Rebekka, die vierte und letzte Seraph, stand vor dem Anwesen Wache, in dem sie Ruffo, den zweiten Komplizen des Comtes, vermuteten. Sobald er oder der Comte oder die Wandelkreatur sich blicken ließen, würde sie einen Straßenjungen mit einer Nachricht senden.
Jeans Finger spielten mit dem geschlossenen Tintenfass, die schwarze Flüssigkeit schwappte gegen die Glaswände und schlug Blasen. »Also gibt es inzwischen doch Leute, die zugeben, den Panter gesehen zu haben?«
Die schwarzhaarige Sarai, die mehr und mehr die führende Rolle unter den Seraphim einnahm, räusperte sich. »Ich habe gehört, Monsieur, dass viele Bewohner ihn als Schutzpatron des Viertels bezeichnen. Seit die schwarze Katze umherschleiche, traut sich das Gesindel nachts nicht mehr auf die Straße. Es sei sicherer als jemals zuvor. Von diesen Leuten dürfen wir also keine Hilfe bei unserer Jagd erwarten.«
Er fuhr sich mit den Fingern durch die langen silbernen Haare und senkte den Kopf. Keine Spur. »Hat sich jemand im Haus von Bernini gezeigt?«
»Nur seine Frau und die Kinder«, antwortete Sarai. »Seit jener Nacht ist er wie vom Erdboden verschluckt. Niemand hat seine Leiche entdeckt.«
»Ich fürchte, er hat Rom verlassen.« Gregoria war unbemerkt zu der Besprechung hinzugestoßen und hatte die Unterhaltung mitgehört.
Sarai zeigte sich skeptisch. »Die Kreatur hat ihn ganz sicher getötet.«
»Weder das eine noch das andere.« Jean hob den Kopf. »Bernini hält sich versteckt und sucht den Comte, um ihm von den neuesten Ereignissen zu berichten, oder vielleicht hat er das schon lange getan. Und die Kreatur will von ihm dasselbe wie wir: den Aufenthalt des Comtes.«
»Damit wäre sie im Vorteil.« Gregoria, die ein schwarzes, hochgeschlossenes Kleid trug, setzte sich auf das Sofa neben dem Fenster, gegen dessen Scheibe der Regen geweht wurde. Es war kein schönes Wetter, sondern grau, nass und diesig. Wie geschaffen für einen Panter, damit er sich beinahe ungestört von Menschen durch die Stadt bewegen konnte.
Jean ballte die Hand, stützte das Kinn darauf und sah an Sarai vorbei auf das tropfenübersäte Glas, während die andere Hand nach wie vor mit dem Tintenfass spielte. Rom war einfach zu groß, um den Comte und seine Komplizen zu finden – oder zumindest fehlte ihnen die Zeit. »Ich fürchte, dass wir keinen von ihnen zu fassen bekommen«, murmelte er leise. Es fiel ihm schwer, die Zuversicht nicht zu verlieren.
Er betrachtete die versteinerten Gesichter der Seraphim. Sie hatten den unerwarteten Tod ihrer Gefährtin Bathseba unterschiedlich verkraftet. Judiths Augen wurden immer noch feucht, wenn von der Nacht gesprochen wurde, die anderen verbargen ihren Schmerz. »Es ist gut«, sagte er zu ihnen und schenkte ihnen ein schwaches Lächeln. »Geht zu Bett und ruht euch aus, danach löst eine von euch Rebekka ab, wie wir es besprochen haben.« Er nickte ihnen zu. »Danke.«
Sie verbeugten sich vor ihm und vor Gregoria und verließen langsam das Zimmer; Jean und die Äbtissin sahen ihnen nach.
»Hast du es bemerkt?«, fragte sie ihn, als sich die Tür hinter Sarai geschlossen hatte.
»Dass sie laufen wie alte Weiber, die Schultern nach vorn und kraftlos?« Wieder seufzte er. »Ich habe sie gewarnt, dass es nichts mit dem zu tun hat, was sie die Söldner gelehrt haben.« Er fluchte. »Wir brauchten mehr Zeit, um sie vorzubereiten. Sie sind besseres Schlachtvieh für den Panter und die
Weitere Kostenlose Bücher