Sanctum
ihm, ihre Hand zuckte nach vorn und schlug die Pistole des vollkommen überrumpelten Fremden zur Seite. Jean wirbelte herum, zog dabei seine Waffe und richtete sie auf das Gesicht des Mannes. Es war Bernini! Er stand in einem glaslosen Fenster, das Haus war offensichtlich verlassen und heruntergekommen. »Sag ihm, er soll sich nicht bewegen«, gab er Judith Anweisung. »Übersetze: Ich suche den Comte de Morangiès und den Mann, der die Morde in Rom begangen hat. Ich will wissen, wer er ist, was er darüber weiß und wo ich den Comte finde.«
Judith redete schnell und drohend, und der Mann antwortete ihr.
»Er sagt, er hat gedacht, dass Ihr derjenige seid, der die Menschen umbringe. Deswegen hat er sein Haus verlassen, um Euch von seiner Familie wegzulocken und zu töten, bevor Ihr Euer blutiges Handwerk verrichten würdet«, gab sie die Worte wieder. »Wo der Comte ist, weiß er nicht, aber er habe eine Nachricht von ihm erhalten, dass er sich unter allen Umständen mit Silberkugeln gegen jeden Angreifer verteidigen solle. Non vi sembrava strano aver dovuto usare l’argento?«
Bernini sprach weiter.
»Er hat keine Ahnung, warum er Silberkugeln benutzen sollte, und hielt es für irgendeinen abergläubischen Brauch.«
»Aber er hat sich welche besorgt.«
Judith fragte ihn. »Ja, das hat er. Um sicherzugehen.« Sie lauschte seinen Erläuterungen. »Er will wissen, wer Ihr seid.«
»Sag ihm, ich bin vom Vater des Comtes gesandt worden, um seinen Sohn ausfindig zu machen, die Schulden zu bezahlen und ihn nach Frankreich zurückzubringen. Wenn er noch Geld von ihm bekommt, wird er es nur sehen, wenn ich den Comte gefunden habe.«
Sie übersetzte, und Jean erkannte am gierigen Funkeln in Berninis grünlichen Augen, dass er soeben eine Einnahmequelle gefunden zu haben glaubte.
»Er sagt«, übersetzte Judith den Redeschwall, »dass es ihm sehr schwer fallen würde, einen Freund zu verraten, aber da der Comte ihm leider sehr, sehr viele unbezahlte Rechnungen hinterlassen und er eine Familie zu ernähren habe, würde er schweren Herzens …«
»Wie viel?«, kürzte Jean die Verhandlungen ab.
»Umgerechnet ungefähr einhundertneunzig Livres.« Judith wischte sich das Regenwasser aus den Augen, die braunen Haare hingen ihr nass und schwarz im Gesicht. »Er meinte, dass er auf die Zinsen verzichte, wenn er das Geld gleich bekäme.«
»Sicher. Sobald er mir sagt, wo ich den Comte finde.« Jean warf einen schnellen Blick auf die umliegenden, mitunter sehr niedrigen Dächer. Er und Judith standen ohne Schutz auf der kleinen Kreuzung. Wie geschaffen dafür, Opfer eines Angriffs zu werden.
Der nächste Blitz beleuchtete den Körper einer schwarzen Raubkatze, die sehr elegant auf einem First entlangbalancierte. Ihr muskulöser Körper war mehr als anderthalb Schritt lang, der Schweif peitschte hin und her; dann verschmolz sie wieder mit der Dunkelheit.
Jean riss die Pistole herum und feuerte sofort nach dem Wandelwesen. Der Schuss löste sich, ein Ziegel zerbarst klirrend; die Kugel hatte ihr Ziel eindeutig verfehlt.
»Monsieur, er flüchtet!«, rief Judith aufgeregt und streifte den Bauchladen ab, der Schmuck hüpfte aus den kleinen Fächern und fiel teilweise in die Pfützen. Sie sprang durch das offene Fenster, zog ihre Pistole und rannte Bernini hinterher.
Jean fluchte und schaute nach oben zu den Dächern. Der Panter war nicht zu sehen, aber gewiss nicht verschwunden.
Er eilte ins Haus und lud im Gehen die Pistole neu, dabei folgte er den Geräuschen, die Bernini und Judith verursachten. Sie hetzten die Treppe nach oben.
»Pass auf«, schrie er und nahm drei Stufen auf einmal, die Pistole in der Rechten haltend, den Dolch hatte er wieder verstaut. »Der Panter wird euch folgen!«
Das morsche Holz ächzte unter seinem Gewicht, feiner Staub rieselte von oben auf ihn herab, und die gesamte Konstruktion geriet ins Schwanken. Jean lief absichtlich auf der weniger ausgetretenen Außenseite der Stiegen – und trotzdem geschah es.
Eine Latte gab unter ihm nach, sein Fuß brach durch das Holz, und er stürzte nach vorn. Der Aufprall seines Körpers brachte die gesamte Treppe zum Zittern, seine Hand mit der Pistole durchstieß das Holz ebenfalls. Die hervorstehenden Splitter rissen seine Haut auf. Jean brüllte vor Schreck und Wut. Die Treppe nahm ihn gefangen, die geborstenen Latten hielten ihn wie in einem Fangeisen fest, die Splitter wirkten wie Widerhaken.
Mit Mühe bekam er den Arm frei, erst danach gelang es
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