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Sanctus

Sanctus

Titel: Sanctus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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modernen Umgebung eines Krankenhauses in New Jersey irgendwie fehl am Platz wirkten.
    Liv stand in der Ecke und beobachtete, wie sich Bonnies Gesicht vor Schmerz verzerrte. Kurz nach zwei Uhr morgens hatte sie ein Anruf geweckt, aus dem Bett gerissen und sie in ihren Wagen wanken und über die I-95 rasen lassen. Es war Myron gewesen. Bonnies Fruchtblase war geplatzt.
    Ein weiterer furchtbarer Schrei gellte durch den Raum, und Liv schaute wieder zu Bonnie, die nackt in der Mitte hockte und so laut heulte, dass ihr Gesicht blau angelaufen war und ihre Nackenmuskeln zum Zerreißen gespannt waren. Das Heulen verebbte und wich dem unschuldigen Geräusch einer sanften Brandung, das aus der Hi-Fi-Anlage in der Ecke kam.
    Doch in Livs nach Nikotin gierendem Hirn verwandelte sich das eigentlich so beruhigende Geräusch der Wellen in das Knistern von Zellophanpapier, wenn man eine Schachtel Lucky Strike öffnete. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so sehr nach etwas gesehnt wie in diesem Moment nach einer Zigarette. Krankenhäuser hatten stets diese Wirkung auf sie. Allein die Tatsache, dass etwas expressis verbis verboten war, machte diese Sache unwiderstehlich für sie. Mit Kirchen war das genauso.
    Bonnie schrie erneut. Diesmal war es eine Mischung aus Stöhnen und Knurren. Myron streichelte ihr über den Rücken und gurrte, als wolle er ein Kind beruhigen, das gerade aus einem schrecklichen Albtraum aufgewacht war. Bonnie drehte sich zu ihm um und kreischte mit vom Schreien rauer Stimme: »Arnika!«
    Liv griff nach ihrem Notebook, um die Forderung und den Zeitpunkt festzuhalten, als sie gestellt worden war. Arnika war auch als Bergwohlverleih bekannt und wurde seit Urzeiten für medizinische Zwecke verwandt. Liv nahm es selbst gegen blaue Flecken, und bei einer schmerzhaften Geburt half es angeblich auch. Und Liv hoffte ernsthaft, dass das stimmte, während Myron verzweifelt versuchte, die kleine Pillenflasche zu öffnen. Dann kam eine neue Wehe, und das Schreien begann erneut.
    Um Himmels willen, jetzt lass dir doch schon eine Spritze geben , dachte Liv.
    Sie mochte ja die Heilwirkung von Pflanzen propagieren; eine Masochistin war sie jedoch nicht. Bonnies Schreie erreichten einen neuen Höhepunkt, und sie packte Myron so fest, dass dem vor Schreck die Pillenflasche aus den Händen fiel.
    Livs Handy klingelte.
    Durch den dicken Stoff ihrer Hosentasche tastete sie nach dem Ausschaltknopf und hoffte, ihn zu erwischen, bevor es ein zweites Mal klingelte. Dabei schien sich niemand auch nur daran zu erinnern, dass sie hier war. Schließlich fischte sie das Handy aus der Tasche, schaute auf das verkratzte graue Display, stellte sicher, dass es wirklich ausgeschaltet war, und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorne – gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie ihre Story Gestalt annahm.
    Bonnie rollte die Augen in den Kopf zurück, und ihr schwerer, schwangerer Körper brach trotz der Bemühungen Myrons und der Hebamme in sich zusammen. Instinktiv sprang Liv zum Notfallknopf und drückte so fest sie konnte.
    Binnen Sekunden war der Raum voller Pfleger, die Bonnie umschwärmten wie Motten das Licht. Dann kam jemand mit einer Trage, und Bonnie wurde aus dem Raum geschoben, weg von Liv und dem sanften Plätschern der Wellen und hin zu den neuesten Medikamenten und Gerätschaften.

K APITEL 31
    Die Mordkommission von Trahpah teilte sich die Büros mit dem Raubdezernat im vierten Stock eines neuen, vollverglasten Gebäudes, das unmittelbar hinter dem alten Polizeihauptquartier errichtet worden war. Das Büro war offen und laut. Männer mit hochgekrempelten Ärmeln hockten auf den Schreibtischkanten oder hingen auf ihren Stühlen, während sie laut miteinander oder ins Telefon sprachen.
    Arkadian saß an seinem Schreibtisch, die Hand aufs Ohr gedrückt, und versuchte, dem Anrufbeantworter zu lauschen, dessen Nummer er gerade gewählt hatte. Es war die Stimme einer Frau, einer Amerikanerin. Sie klang selbstbewusst. Ende zwanzig, Anfang dreißig. Arkadian legte lieber auf, anstatt eine Nachricht zu hinterlassen. Indem man auf Anrufbeantworter sprach, bekam man nie irgendwelche Informationen. Da war es besser, es so lange zu versuchen, bis der Betreffende neugierig genug wurde und doch noch abhob.
    Arkadian legte das Telefon beiseite und drückte die Leertaste an seinem Computer, um den Bildschirmschoner abzuschalten. Die Fotos von der Autopsie erschienen. Arkadian schaute sich die präzisen Narben auf dem Leib des toten

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