Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Fremde
Vom Netzwerk:
auch von Frauen, sogar in erster Linie von
solchen, die an dieser Kontrolle kein persönliches Interesse haben konnten,
sondern sich mit uneigennützigem und instinktivem Eifer betätigten.
    Allmählich
wurde ihm klar, daß der »Klatsch« auch noch anderes war als eine allgemeine,
auf gegenseitigem Haß begründete natürliche und primitive menschliche Neigung
– er erfuhr, daß der Klatsch ein bewährtes Hilfsmittel bei den Maßnahmen war,
die von der Gesellschaft zu ihrer eigenen Sicherheit getroffen wurden, ein
nicht gerade vornehmes Hilfsmittel, aber sie war darauf zumindest ebenso
angewiesen wie, im Interesse des Gemeinwohls, die Polizei auf die vertraulichen
Dienste der Spitzel und bezahlten Zuträger. Die Gesellschaft, und besonders
die Gesellschaft der Frauen, die er langsam als Staat im Staate zu betrachten
begann, verteidigte sich
mit allen zu Gebote stehenden Mitteln gegen Störungen der Ordnung und gegen
jede Art der Rebellion; nach gründlicher Prüfung veranlaßte ihn sein
Gerechtigkeitssinn, diese Gegenwehr als berechtigt anzuerkennen.
    Es war eine
eigenartige und subtile Form der Selbstverteidigung, wie die Frauen einen
rebellierenden Mann mit ihrem intimen Nachrichtendienst einsponnen; hinter den
kleinen, zähen Gemeinheiten sah er das Wirken gewaltiger Kräfte. Und der Umfang
der Maßnahmen, die zur Regelung einer anscheinend unerheblichen »Privatangelegenheit«
in Windeseile und – wie es ihm manchmal vorkam, denn er erhielt gleichzeitig
aus dem Ausland gutgemeinte, mit Ratschlägen reich ausgestattete Briefe –
international in die Wege geleitet wurden, verlangte ihm Respekt ab. Offenbar
ging es im »Fall« Askenasis und aller anderen um mehr als nur um eine
Privatangelegenheit, um die Gefühle von Hänsel und Gretel, die abkühlen oder
sich wandeln; ein Geflecht unabsehbarer Interessen breitete sich hinter jeder
Privatangelegenheit aus, und für die Frauen ging es immer um das Ganze, um die
Übereinkunft, um den Vertrag, den sie innerhalb der Welt der Männer
miteinander geschlossen hatten und dessen geheimere Punkte einem Mann preiszugeben
Todsünde und Verrat war; so dachte er.
    Eine
Zeitlang amüsierte ihn das. Später, als er bemerkte, daß er der Kontrolle nicht
entfliehen konnte, weder ins Ausland noch in geschlossene Räume, begann er
unruhig zu werden. Es dauerte ziemlich
lange, bis ihm klar wurde, daß es vor den Informationen der Frauen kein
Entrinnen gab. Und er fügte sich in sein Schicksal.
    Auch die
Männer, die er in dieser Zeit traf, verhielten sich seltsam; sie standen,
bewußt oder unbewußt, im Dienst der Frauen. Auch wenn sie sich nicht für
niedrige Machenschaften hergaben, waren sie jedenfalls gewillt, mit den
wohlklingenden, geheiligten Argumenten der Männermoral Zweifel über die
ethische Berechtigung seiner Rebellion in ihm zu säen. Moralische Argumente ins
Treffen zu führen überließen die Frauen tunlichst den Männern; sie, die
Bescheideneren, begnügten sich damit, das Ziel der Rebellion herabzusetzen.
    Dieses
hartnäckige, gründliche und äußerst vorsichtige Verächtlichmachen, mit dem die
Frauen den Wert und das zu erwartende Ergebnis der rebellischen Handlung in
den Augen des Betroffenen zu schmälern suchten, amüsierte Askenasi geraume
Zeit; schließlich bemerkte er jedoch, daß sogar diese unfeinen Methoden zu
wirken begannen und er sich nicht gegen sie schützen konnte. Während die
Männer, wenn sich Gelegenheit dazu fand, im Auftrag der Frauen eher die
»Unwürdigkeit« hervorhoben – etwa in dem Ton, in dem man jemand tadelt, weil
er leichtfertig zuviel für eine Ware bezahlt hat, die er mit einigem Feilschen
auch billiger bekommen hätte –, fanden es die Frauen im großen und ganzen zwar
natürlich, daß ein Mann sich aufopferte, doch sie verstanden absolut nicht,
daß es »ausgerechnet für diese Frau« geschah ...
    Diese
komplizierte Einschätzung bestürzte Askenasi. Er sann lange darüber nach,
welche Frau er wohl hätte wählen müssen, damit ihm sein Ausbrechen verziehen
worden wäre. Eine braune anstelle einer blonden, eine Spanierin statt einer
Russin, oder eine, die gern stickt, oder eine andere, die den Haushalt zu
führen versteht oder schön Klavier spielt? Hätten sie dann seinen Schritt verstanden
und ihm verziehen? Das hielt er nicht für wahrscheinlich. Er mußte sich damit
abfinden, daß es, wen immer er gewählt hätte, für eine Rebellion keine
Entschuldigung gab – in den Augen der Frauen, die immer zu der

Weitere Kostenlose Bücher