Sandor Marai
»sündigen«.
Er
bemerkte, daß seine Freunde ihn mit Bestürzung, aber mit einem gewissen
Respekt ansahen; langsam fand er sich im Geflecht von Lügen und Legenden
zurecht und erfuhr zu seinem Erstaunen, daß im Leben von Männern nichts so
selten ist wie das, was im allgemeinen Abenteuer genannt wird; und wer sich zu
einem solchen Erlebnis entschließt, wird zwar nicht mehr ganz ernst genommen,
man erweist ihm jedoch den rücksichtsvollen Respekt, der dem Todgeweihten
gebührt ... Alle stimmten sie darin überein, daß die Todesart, die Askenasi
gewählt hatte, vielleicht angenehm, aber eines so hervorragenden Mannes
»unwürdig« sei.
»Unwürdig«
war ihre erste Begegnung und wahrscheinlich auch alles Folgende. Askenasi
bemerkte alsbald mit Schrecken, daß die Menschheit im allgemeinen eine viel zu
würdevolle Haltung von ihm erwartete, als daß er ihr je hätte genügen können.
Er hatte
die Tänzerin auf der Straße kennengelernt, an
einem sehr warmen Tag Ende August, früh am Nachmittag. Sie ging vor ihm auf den
Stufen der Untergrundbahn und mühte sich mit dem Tragen ihrer
überdurchschnittlich großen, allem Anschein nach mit schweren Gegenständen
gefüllten Tasche. Mit Handschuhen und ohne Hut, in zigeunerhafter Aufmachung,
sah sie im ersten Moment der Frau, wie sie Askenasi später kennenlernte, überhaupt
nicht ähnlich. So wenig paßte es zu ihr, in der Untergrundbahn zu fahren und
schwer zu tragen, daß Askenasi nachträglich von Zweifeln gequält wurde, ob
wohl alles so geschehen wäre, wie es dann geschah, hätte er sie nicht auf der
Straße und in solcher Verfassung, sondern in einem Salon, im Abendkleid
kennengelernt.
Auf jeden
Fall war er neben sie getreten, hatte seine Dienste höflich, unaufdringlich
angeboten und die Hand nach der Tasche ausgestreckt. Diese ersten Augenblicke,
die er später niemals vollständig rekonstruieren konnte – das Bild blieb immer
unvollständig, er erinnerte sich nicht an den ersten Blick, weder daran, wann
er dieses Gesicht das erste Mal betrachtet und ob es ihm überhaupt gefallen
hatte, noch an die ersten Worte –, waren von wortlosem Ringen begleitet: Die
Frau antwortete auf Askenasis Aufforderung nicht, wandte sich mit einem
ärgerlichen und kopfschmerzgeplagten Blick ab und wollte weiter; doch er hatte
die Tasche mit einer nachdrücklichen Bewegung bereits ergriffen. So bewegten
sie sich einige Stufen aufwärts, zwischen hastenden und drängelnden Passanten.
Askenasi
kam aus der Bibliothek und war auf dem Weg zum Institut, wo er um drei Uhr eine
Vorlesung halten sollte. Immer noch schweigend gingen sie die Avenue Wagram
hinunter, inzwischen trugen sie die schwere Tasche zu zweit. Askenasi erfuhr
nie, was sich darin befand, genausowenig wie die Umstände und Gründe, warum
Eliz diese Tasche vom Bahnhof geholt hatte, warum sie nicht in ein Taxi gestiegen
war, ob sie damals Geld hatte oder nicht, mit wem sie zusammenlebte oder ob
sie schon längere Zeit allein war. Von alledem erhielt Askenasi niemals
Kenntnis. Wortlos, fast sorgenvoll, wie es Askenasi später scheinen wollte,
schritten sie nebeneinander her, in ihre Gedanken versunken, wie ein Ehepaar,
das sich gerade nichts Besonderes zu sagen hat, in einer langweiligen Szene des
Lebens. Jemand grüßte und blickte ihm nach; zerstreut winkte er zurück, mit der
linken Hand, denn die Tasche hielt er krampfhaft fest und ließ sie keinen
Moment los; und er erkannte einen seiner Studenten, einen sehr eleganten und
reichen jungen Mann aus Südamerika, der ihn und die Frau mit offenem Mund und
kindlicher Fassungslosigkeit anstarrte. Was staunt der so, dachte er
ärgerlich. Dunkel dachte er auch daran, daß es vielleicht an der Zeit sei, der
Fremden einige nette Worte zu sagen; doch er verwarf die Idee gleich wieder
als dumm und überflüssig.
So kamen
sie vor dem Hotel an. »Merci« , sagte die Fremde, blieb stehen und nahm
ihm die Tasche mit einer entschlossenen Bewegung aus der Hand. Nun sahen sie
einander das erste Mal ins Gesicht. Sie mochten längere Zeit so dagestanden
haben, vielleicht sogar Minuten, wortlos und reglos. Aus dem Eingang des
Hotels, in dem hauptsächlich die Artisten des gegenüberliegenden Varietés wohnten,
traten zwei junge Frauen; sie grüßten die Tänzerin mit einem freundlichen und
vertraulichen Kopfnicken; doch sie blieben nicht stehen, sondern winkten einem
Taxi, stiegen ein und fuhren davon. Das Gesicht der Frau war bekümmert, müde,
fast düster. » Merci« , sagte sie
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