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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Fremde
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irgendwo schon einmal erlebt, dachte er etwas später und erinnerte
sich mit schmerzlicher Ausführlichkeit: In einem kühlen, dunklen Zimmer liegen,
allein, hinter geschlossenen Fensterläden, und draußen im Garten spielen
Fremde Tennis, die Blumenbeete werden gerade jetzt gegossen, und dieser
dunstige, mürbe Treibhausgeruch schwimmt in der Luft, ich höre das Knattern
der Tennisschlägersaiten, die englischen Zahlen.
Eine Frau zählt heiser. Er wartete und hörte erfreut die heisere Stimme der
Frau. Ich habe schon so vieles erlebt, dachte er zufrieden. Fast das ganze
Leben. Eigentlich fehlt kaum mehr etwas ...
    Mit stiller
Befriedigung dachte er daran, daß er im großen und ganzen seine Arbeit zu Ende
gebracht, seine Pflicht beinahe erfüllt hatte, er hatte so gelebt, wie es seine
Mitmenschen und die Umstände verlangten, und schließlich auch anders; er hatte
mit den Mitteln des Körpers Erkenntnisse gewonnen, und nun blieb nichts weiter,
als eine Antwort auf die Frage zu suchen, warum er denn nun eigentlich sein
ganzes Leben lang so jämmerlich leiden mußte, welche Absichten die »Idee« mit
der Kreatur hatte, als sie ihr derart demütigende Leiden auferlegte, die nie
ein Ende haben, und überhaupt, warum gab es keine Befriedigung? Auf diese
Detailfrage mußte er noch eine Antwort bekommen. Er empfand es als
erniedrigend, daß er auf so lächerliche Weise gescheitert war, jetzt konnte er
in der Welt herumvagabundieren und die Antwort bei anderen Frauen suchen, sie
aus Büchern häppchenweise zusammenklauben, Männer befragen. Viel bringt mir
die Methode nicht, dachte er mißmutig.
    Vielleicht
hätte ich Eliz geduldiger ausfragen sollen, oder energischer, ihr vielleicht
Angst einjagen sollen. Er überlegte. Sie vielleicht umbringen. Diese
Möglichkeit überraschte ihn. Er dachte darüber nach, ob es sich um eine
»moralische« oder »unmoralische« Lösung handelt, wenn ein Mann die Frau
umbringt, an die er gefesselt ist und von der er sich
absolut nicht befreien kann. Er ahnte dunkel, daß es gar keine Frage der Moral
war, sondern der Gelegenheit und der Kraft.
    Kann eine
Frau Antwort geben, dachte er hartnäckig, oder kann sie es nicht? Wenn es
keine Befriedigung gibt, soll sie mich freigeben. Mit Freude und Erleichterung
dachte er daran, daß Anna die Konsequenzen aus ihrer Ohnmacht gezogen und ihn
im letzten Moment freigegeben hatte, jetzt mußte er sich nicht mehr mit ihr
herumschlagen. Eliz war vor der Verantwortung geflohen. Askenasi dachte nun an
sie wie an einen treulosen Blender, der in Übersee ungestört die Früchte seines
Verrats genießt. Die Polizei kann hier nicht viel helfen, dachte er. Aber wenn
es nicht um das »Glück« ging, was hatte sie dann noch mit dem Ganzen zu tun?
Wofür trug sie Verantwortung? Er wiederum hatte sich im Sinne der Übereinkunft
verhalten, war erwachsen geworden, achtete auf seine Gesundheit, trachtete
nicht nach dem Eigentum seiner Mitmenschen und strebte auf seine Weise nach
Klarheit der Begriffe.
    Er hatte
das Gefühl, gescheitert zu sein, doch zugleich hatte er seine
Handlungsfreiheit wiedererlangt; die fünf- oder zehntausend Jahre, in denen
die Menschen im Zeichen der Übereinkunft lebten, hatten nicht das erhoffte
Resultat gebracht, und er, Askenasi, hatte sich gezwungen gesehen, selbständig
zu handeln, ohne Rücksicht auf die Übereinkunft, wenn er nicht so sinn- und
zwecklos sterben wollte wie ein vom Schlächter abgestochenes
Schwein; oder vielleicht noch sinnloser. Er verstand, was für ein großartiger
Vorwand es war, ein »Held« zu sein, »für etwas« zu sterben ... Er dachte nach.
Sicher, niemals wegen einer Frau, niemals für eine Person. Für etwas ... Er
rieb sich die Stirn.
    Etwas hatte
er Eliz zu fragen vergessen. Vielleicht hätte ich gegen ihren Körper trommeln
sollen. Sie vielleicht aufschneiden, auseinandernehmen. Die Frage, der Durst
der neugierigen Frage ließ nicht nach. Aber wenn der Weg über den Körper führt,
dachte er vorwurfsvoll, warum dann diese vielen künstlichen Hindernisse? Das
Geld? Die ganze Dienstvorschrift, die Sammlung von Reglementierungen, und was
noch quälender ist: der Körper selbst, warum versündigt er sich ...? Denn
wenn er die Antwort wußte, hatte er im letzten Augenblick geschwiegen, war
ausgewichen. Die Lust war nur ein einzelner Ton, nicht die ganze Melodie.
Neidisch und eifersüchtig bewahrte der Körper das Geheimnis, er stachelte zu
immer neuen Versuchen an, davon lebte er, daß der andere durstig

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