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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Fremde
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Übertreibungen, dachte er und
schüttelte den Kopf. Er eilte Eliz nach, die bereits im Aufzug stand – oben, im
dritten Stock, trat sie ohne zu läuten durch eine Tür, die sie angelehnt
erwartet hatte und hinter ihr zuschlug. Askenasi klopfte, bekam jedoch keine
Antwort; eine Weile stand er noch da, dann stieg er die Treppe hinunter und
ging im Regen auf und ab.
    Es wehte
ein kühler Wind. »Du erkältest dich«, hörte er jetzt zum ersten Mal klar und
deutlich Annas Stimme; sie stand auf, schloß das Fenster und deckte Askenasi
zu. Im Nachbarzimmer läutete das
Telephon; Anna ging hinüber und sprach mit jemandem. Wie überflüssig das
ist, dachte Askenasi ärgerlich, was wollen sie mit dem Telephon? Wie primitiv
... Und er schwieg trotzig den ganzen Abend.
    Anna kam
jeden Tag, und nach einiger Zeit sprach auch sie nicht mehr viel; einmal sagte
sie, daß sie alles wisse, er solle keine Angst haben, jetzt dürfe er sich um
nichts als um sich selbst kümmern. Sie bat ihn, nicht zu ihr zurückzukommen,
denn das habe jetzt noch keinen Zweck – viel später, ja, denn es könne gar
nicht anders sein. »Alles weiß ich von dir«, sagte Anna, »wie ein Kind im Leib
der Mutter, mit der es gemeinsam atmet. Ich weiß, du mußt jetzt sehr
achtgeben.«
    Einmal, es
war gegen Abend, Anna hatte gute Laune und sprach von der Zukunft, als er sich
plötzlich aufsetzte und laut fragte: »Aber was wird mit mir, wenn sich
herausstellt, daß diese Sache persönlich ist ... an ihre Person
geknüpft ist, sowohl Frage als auch Antwort. Was dann?« Anna schwieg. Er
richtete den Schein der Lampe auf sie und musterte das weiße Gesicht mit
großer Aufmerksamkeit. »Dann hast du dich geirrt«, sagte sie leise, mit niedergeschlagenen
Augen, »Gott sei dir gnädig.«
    Und sie
schlug ein Kreuz. Askenasi lachte auf, denn er hatte Anna noch nie ein Kreuz
schlagen sehen. Sie blickte ihn verlegen, befremdet an, stand auf und suchte
ihren Hut. »Dann bist du gescheitert«, hörte er noch ihre Stimme, die sich
entfernte, sie war bereits in der Tür verschwunden.
    Anna kam
auch nicht mehr wieder. Askenasi wartete einige Zeit, doch nur, wie man auf
einen Brief wartet. Eliz sah er noch zweimal, immer in demselben fremden Haus,
im Tor, wenn sie fortging oder zurückkam; weiter als bis zum Tor drang er nie.
Einmal machte er sich auf, die Straße und das Haus zu suchen; er fand sie auch;
doch beim Eingang bekam er Angst, machte kehrt und ging heim. Noch lange wagte
er nicht zu glauben, daß es sich aufgrund irgendeines Zufalls, eines unvorhersehbaren
Unglücksfalls bei der »Frage« und der »Antwort« um ein und dieselbe Person
handelte, die er »gar nicht besonders geliebt hatte« (das versicherte er sich
ständig), eine unzulängliche Frage und eine schlecht formulierte Antwort, doch
damit mußte er sich nun zufriedengeben.
    Als ihm
seine Freunde »Erholung« und, wie es zu ihm paßte, »einige Wochen an einem ganz
kleinen Ort« empfahlen, widersetzte er sich nicht. Noch immer hoffte er, daß
unterwegs vielleicht etwas »in Ordnung kommen« würde – sein Irrtum erschien ihm
lächerlich, wie ein Unfall auf der Straße, demütigend, er sah darin den
Schicksalsschlag eines drittrangigen Verhängnisses, und das empörte ihn. Als
würde jemand mit einer Karawane, mit Waffen und Kamelen zu einer Expedition
aufbrechen und am Ende in der benachbarten Straße ankommen, dachte er. Als der
Zug vom Bahnhof losfuhr, sah er zum Fenster hinaus und suchte Anna in der
Menge, unruhig und neugierig. Doch er entdeckte kein bekanntes Gesicht.
    Er begann
zu verstehen, daß ihm niemand mehr helfen konnte, er war sich selbst überlassen
und allein.
    ***
    »Lächerlich«,
sagte er noch
einmal, ruhiger, als der erste heftige Schmerzanfall nachließ. Sein Schluckauf
wurde schwächer, er drückte die Hand gegen den Mund. Nach einer Weile sah er
auf die Uhr: er hatte nur einige Minuten so dagelegen. Seine Augen schmerzten,
vielleicht von der Hitze, vorsichtig rieb er sich mit der Handfläche die Lider.
Vom Tennisplatz her hörte er das dumpfe Knallen der Bälle und das Lachen der
Spieler. Ich hätte noch vieles gern gesehen, dachte er müde. China. Dort wollte
ich immer hin. Auf Indien hätte ich vielleicht verzichtet. Was er zu sehen
versäumt und von seinen Pflichten nicht erledigt hatte, zog an ihm vorbei, als
würde er in einem Kalender blättern. Wie schmachvoll, dachte er und schüttelte
den Kopf, wegen einer Frau. Die Schande drückte ihn völlig nieder.
    Auch das
habe ich

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