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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Fremde
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fast
gleichzeitig, sozusagen alle zehn Minuten woanders. (Später konstatierte
Askenasi überrascht, daß er den ganzen Nachmittag mit dem Fahrrad kreuz und
quer durch die Stadt hätte rasen müssen, um jedem zu begegnen, der ihn gesehen
haben wollte.)
    Das
Stubenmädchen hatte Zimmer zweiundvierzig gegen sieben Uhr betreten; nach
Sonnenuntergang, ungefähr um acht, begann die Gendarmerie das Personal zu
verhören. Gegen neun, das Abendessen wurde bereits serviert, erwähnte jemand
zaghaft und aufs Geratewohl zum ersten Mal Askenasis Namen. Von den Gästen
erinnerte sich niemand, ihn gesehen oder gekannt zu haben – doch als der
Portier den Gendarmerieoffizier stockend und unsicher darauf aufmerksam machte,
daß Viktor Henrik Askenasi, der in einem Zimmer des zweiten Stocks wohnte, als
einziger nicht zum Abendessen erschienen war, begannen die Hotelgäste fieberhaft
und unisono diesen Namen zu plappern, mit solcher Überzeugung, als verstünden
sie gar nicht, daß sie nicht schon früher darauf gekommen waren, dabei sei es
sonnenklar, daß der »Täter« niemand anderer sein könne als dieser
binokeltragende bleiche Herr, der »mit seinem verdächtigen Benehmen« allen
schon längst aufgefallen sei.
    Besonderen
Eifer zeigte der protestantische Geistliche, der Askenasi am Nachmittag als
»unfreundlichen und böse dreinblickenden« Menschen kennengelernt hatte – als
einen Menschen, der auf wohlwollende Bemerkungen »nicht antwortete, weil er
etwas im Schilde führte«. Auch diese Aussage wurde im Protokoll verewigt, die
Gendarmen maßen der Beobachtung des Gottesmannes besondere Bedeutung bei, weil
sie es damit als erwiesen ansahen, daß Askenasi »seine Tat im voraus geplant
und bereits am frühen Nachmittag erwogen« habe.
    Askenasi
selbst stellte die Geschehnisse des Nachmittags viel einfacher dar. Im Zimmer
zweiundvierzig sei er vielleicht acht bis zehn Minuten geblieben, er wisse es
nicht genau, aber länger wahrscheinlich nicht. »Ich hatte dort nichts weiter zu
tun«, wie er »mit zynischer Grausamkeit« aussagte, und im übrigen sei alles
viel schneller gegangen, als man sich vorstellen könne. Dann sei er noch in
sein Zimmer zurückgegangen, um den Badeanzug zu holen; auf die Frage, wozu er
einen Badeanzug gebraucht habe, antwortete er zur allgemeinen Überraschung, er
habe ins Schwimmbad gewollt, denn es sei ihm »unerträglich heiß« gewesen.
    Diese
Äußerung wurde später heftig verurteilt und ihm als »belastender und
erschwerender Umstand« angekreidet, man sah auch darin einen Beweis
wohlerwogener Absicht: Wer mit kühler Ruhe seinen Badeanzug holt, ehe er »die
Flucht ergreift«, als wäre es »in einem solchen Fall« angebracht, ins Bad oder
überhaupt unter Menschen zu gehen, sagte der Untersuchungsrichter, der sei ein
ruchloser Verbrecher bar jeden menschlichen Gefühls.
    Als hätte
er irgendeine bodenlose Ungehörigkeit begangen, rechtfertigte sich Askenasi
verlegen, er habe im nachhinein selbst das Gefühl gehabt, es wäre passender
gewesen, statt eines Badeanzugs schwarze Kleidung anzulegen. Doch seine Richter
verstanden niemals und glaubten ihm auch nicht, daß er in jenen Stunden
überhaupt nicht »fliehen« wollte, daß er sich nicht schuldig fühlte, weder damals
noch später, vielmehr guter Dinge war und sich
erleichtert fühlte, als hätte er eine schwierige Unternehmung erfolgreich
abgeschlossen; er war nicht eben stolz, aber sehr zufrieden, und sah
keinesfalls eine Notwendigkeit zu fliehen. Den Badeanzug nahm er schließlich
doch nicht mit – ganz einfach deswegen, weil er noch nicht trocken war –
genausowenig wie irgend etwas aus seinem Zimmer, und der Porzellanfabrikant war
vermutlich einer Sinnestäuschung erlegen, als er ihn mit Gepäck in der Hand
davongehen sah.
    Er
verzichtete auf das geplante Bad und begnügte sich damit, die Hände im Becken
zu waschen und sich mit dem abgestandenen Wasser das Gesicht zu erfrischen. Er
sah sich im Zimmer um und überlegte einen Augenblick, ob es vielleicht an der
Zeit sei, zu packen, denn später würde sich keine Gelegenheit mehr dazu finden.
Die Zigarre, die er soeben, beim Verlassen des Zimmers, auf dem Aschenbecher
vergessen hatte, glühte auch jetzt noch, nicht einmal ein Viertel war zu Asche
geworden: Dieses Detail erwähnte Askenasi in seiner Aussage mehrmals, als
Beleg, daß er in Zimmer zweiundvierzig nur einige Minuten verbracht hatte.
    Er trat zu
seinem Gepäck, doch da fiel ihm ein, daß man es ihm später ohnehin

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