Sandor Marai
körperlichen Schwerfälligkeit der
Erscheinung. Das Schweigen, mit dem Askenasi auf die höflich gleichgültige
Frage antwortete, war fast schon peinlich und herausfordernd. Das Lächeln im
Gesicht des Mönchs erlosch, sein Blick nahm einen beunruhigten, aufmerksamen
und sorgenvollen
Ausdruck an; mit ernsthafter Erwartung, respektgebietend und doch mit
Interesse, unpersönlich, doch bereit zu helfen, sah er dem Fremden ins
Gesicht. Der dicke braune Lodenstoff seiner Kutte verströmte dumpfen
Weihrauchgeruch und eine deftige Männerausdünstung, den Geruch von Talgseife.
Vielleicht
könnten wir uns hinsetzen, dachte Askenasi zögernd, hier auf die Steinbank ...
Vielleicht nimmt er es nicht übel, wenn ich ihn frage, ob es ihm gelungen ist.
Ohne sich um den kalten Blick zu kümmern, starrte er so schamlos in dieses Gesicht,
als würde er keinem Lebenden in die Augen blicken, sondern einen Gegenstand
mustern, tote Materie, der nichts anderes übrigbleibt, als die unbarmherzige,
schonungslose Untersuchung ohne Gegenwehr zu erdulden. Er unterzog den Mund und
die Form der Ohren einer minuziösen Betrachtung – ein wenig reckte er sich
sogar in die Höhe, um besser zu sehen –, vertiefte sich in die Augen, die diese
Leibesvisitation ohne Zorn und Erstaunen über sich ergehen ließen, trat zur
Seite und studierte die Form des Kopfes, das ruhige Profil, die glatten,
achtunggebietenden Linien der Stirn – und weil er nirgends einen Fehler fand,
nirgends die Falte, das winzige Zeichen des Zweifels, das verriet, daß hinter
dieser ruhigen und würdevollen Stirn eine in die Falle gelockte, eingesperrte
Bestie tobte, ergriff ihn solcher Haß und solche Verzweiflung, daß er
zurückprallte und mit einer entsetzten, abwehrenden Bewegung den Arm vors
Gesicht hob.
Aber dann
habe ich mich ja geirrt, dachte er mit einer Gänsehaut am ganzen Körper und
starrte mit glasigen Augen auf die ruhige Gestalt. Das kann nicht sein, es gibt
keine Ausnahme! Der Ordensbruder ging behutsam auf ihn zu, aus seinem ruhigen
Gesicht leuchtete ernsthafte Anteilnahme; Askenasi hatte das Gefühl, daß ihn
noch nie jemand mit solchem Wohlwollen und so traurigem Wissen angesehen
hatte. In seiner Angst packte er den Mönch an der Brust, bei seiner Kutte,
schüttelte ihn mit beiden Händen und brüllte, außer sich vor Empörung: »Das
ist nicht wahr! Das kann nicht sein!«
Zwei
kräftige Hände ergriffen seine Arme und drängten sie zurück, sanft, ohne
Schmerzen zu verursachen, doch mit unwiderstehlichem Druck. Auch diese Abwehr
ging eher von dem ruhigen und integren Wesen des Mönchs aus als vom Widerstand
des starken Körpers; mit solch sanfter Überlegenheit zügeln Erwachsene
aufgeregte, widerspenstige Kinder, denen sie ihre wahre Kraft nicht zu
demonstrieren brauchen. Askenasi stand bleich, zusammengekrümmt, sprungbreit
vor seinem ruhigen Gegner; von unten sah er ihm jetzt in die dunkel glühenden
Augen, und er glaubte diesen Blick mit vertauschten Rollen vor entsetzlich
langer Zeit schon einmal erlebt zu haben. Ein Zittern ging durch seinen Körper
... Die ruhigen Augen verdüsterten sich, ihr Licht verlosch; mit Schadenfreude
nahm Askenasi wahr, daß der Mönch seinem fragenden, Rechenschaft fordernden,
tastenden Blick nicht
standhielt, die Augen schreckten zurück, die Züge verzerrten sich zornig und
schmerzlich. »Du lügst!« schrie er triumphierend. Und spuckte ihm ins
Gesicht.
Er riß
seine Arme aus den Händen des zurückprallenden Mönchs und begann zu laufen. In
der Kirchentür hielt er inne. Geduckt, in vorgeneigter Fluchthaltung, wie er
gelaufen war, wandte er sich um; er sah noch, wie der Mönch langsam seinen Arm
hob und sich das Gesicht abwischte. Er stand an einem sonnenbeschienenen Punkt
des Gartens, zwischen zwei Palmen; aus den Falten seiner Kutte holte er ein
Taschentuch hervor, reinigte Gesicht und Hand und bekreuzigte sich mit einer
langsamen Bewegung.
Askenasi
querte das Mittelschiff; vor dem Altar blieb er stehen und lauschte lange, ob
ihm jemand folgte. Doch es war nichts zu hören. Daraufhin ging er demonstrativ
langsam, mit hallenden Schritten – als würde ihm nicht im Traum einfallen zu
fliehen, hier war er, wer eine Rechnung mit ihm zu begleichen hatte, konnte
ihn einholen – zwischen den Bankreihen zum Ausgang. Er schritt über den
Hauptplatz, wich der Menge auf der Promenade aus und wandte sich zum alten
Hafen, wo einst die Armada der Republik geankert hatte, die Schiffe der Neuzeit
mit ihrem größeren
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