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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Nacht vor der Scheidung
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aber er
sehnte sich auch nicht danach, und er kannte weder Jubel noch Klage.
    So blieb sein Leben auch dann, als
seine keusche und demütige Seele einer neuen Ordnung – der Ordnung der
Krankheit – unterworfen wurde.
    Er ertrug
diese Krankheit nicht mit heroisch-verkrampftem Pathos, sondern fügsam und zuweilen
mit großer Einsicht, als hätte ihm das Leid etwas offenbart, was er früher
weder mit geistlichen Übungen noch mit Gebeten hatte ergründen können.
    Sein Religionsbekenntnis war einfach
und unmittelbar und so natürlich wie das Blühen der Pflanze und das Atmen des
Tieres. Er hatte sich nie gegen Zweifel gewehrt, die ihn heimgesucht hatten,
und er forderte auch von den ihm anvertrauten Zöglingen keinen ehrgeizigen
Glaubenseifer – er wußte wohl, daß wahre Frömmigkeit einem göttlichen
Seelenzustand entsprang: dem der Gnade. Die Seele wird von Frieden erfüllt, der
wie ein sanfter Schein durch die dämmernden Tiefen dringt. Meist ist es nicht
der harte, unerbittliche Strahl des Saulus, sondern ein mildes, warmes Licht.
Für diesen Augenblick mußte man in Demut bereit sein, denn die Demut ist die
Vorbedingung zur Gnade. Ja, man mußte auch für die Verwandlungen bereit sein,
die dieses Leben zu bieten hatte. »Es genügt schon,
daß wir uns nicht wehren«, sagte der Pater einmal zu Christoph. Ja, sich nicht
zu wehren kam schon dem Handeln gleich. Vielleicht war es am schwierigsten,
sich in einen Willen zu ergeben, den nicht die Vernunft, sondern ein tiefes und
unabänderliches Gesetz uns auferlegt. Pater Norbert vermochte sich in
demütiger Bereitwilligkeit zu ergeben, und er war bemüht, seine Zöglinge
dasselbe zu lehren.
    Christoph hatte die Stimme, die ihn
zu jener freiwilligen Ergebung rief, lange vernommen. Allmählich war sie
verstummt und hatte einer angenehmen Leere Platz gemacht, aber er hatte
weitergelebt, weitergearbeitet, eine Familie gegründet und Recht gesprochen –
und war sich doch bewußt gewesen, daß er sich mit all seinem Tun gegen jenes
Gesetz und jenen Willen, der sein tiefster und eigenster war, wehrte. Hinter jener
Leere – er wußte es – stand eine Stimme und befahl! Wie in der Dämmerung, im
Halbschlaf – vor dem Erwachen war ihm zumute: Die Geräusche der Welt sind
hörbar, aber undeutlich, und der Traum umhüllt uns noch mit verdächtigen
Schatten. Auch wenn das Dämmern Jahre dauert, einmal mußte man daraus erwachen.
So lebte Kömüves in jenem Halbschlummer und gab der Welt, was ihr gebührte. Dem
weltlichen Gesetz gemäß atmete und richtete er – es war wohl zu wenig, dieser
irdische Gehorsam. Aber wer war denn zu mehr fähig von allen, die ihn umgaben?
    Nur Pater Norbert war zu mehr fähig
gewesen, und so erstanden seine Worte vor Kömüves manchmal noch gleich einem
primitiven Text, der zuweilen sichtbar wurde (nur gelegentlich überkam es ihn:
siehe, auch er ist gestorben! Wie ein schmachvolles Geschehen, wie ein Makel
schien ihm dann der frühe Tod des Paters, aber er prüfte diese Empfindungen nie
und wies sich deshalb nie zurecht).
    Wenn Leute vor ihm standen, die sich
mit den Begierden, Leidenschaften und Versuchungen des Blutes oder Geldes
verteidigten, sah er die gebrechliche Gestalt des Paters vor sich: Er, der so
gern gelächelt und sich nie gewehrt hatte, der an etwas geglaubt und doch
nichts besessen hatte ... In solchen Augenblicken neigte sich der Richter mit
strengem Blick über die Buchstaben des Gesetzes. Da bedeutete für ihn der Mönch
dann einen Maßstab, er war die Richtschnur für Gut und Böse, menschliches Maß,
wie es nur einmal in einem Menschen zum Ausdruck gekommen war.
    Kömüves zog sich jährlich für drei
Tage ins Ordenshaus der Manresa zurück und nahm mit einigen Richterkollegen an
den vor Ostern stattfindenden geistlichen Übungen teil. Er stand im Rufe des
tief religiösen, auch in seinem Privatleben streng sittlichen Richters.
Manchmal glaubte er tatsächlich selbst, jenes Richterideal zu sein, das der
Vorstellung vieler entsprach: Er lebte im Familienkreis in sittsamer und
verborgener Sparsamkeit, versah genau und
gewissenhaft sein Amt, vermied die Irrwege der Tagespolitik und verkehrte nur
mit Menschen seiner eigenen Welt. Stündlich und täglich hätte seine
Lebensführung überwacht und geprüft werden können. Er hatte das Gefühl, ein
nützliches und würdiges Mitglied der Gesellschaft zu sein – doch war dieses
Gefühl nicht ein wenig eitel? Pater Norbert hatte sich vielleicht nie für ein
nützliches und

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