Sanft sollst du brennen
»Am Freitagmorgen werde ich operiert. Der Chirurg wollte die Biopsie schon morgen machen, aber das habe ich abgelehnt. Du brauchst ja ein bisschen Zeit, um hierherzukommen, oder?« Sie klang wie ein verängstigtes kleines Mädchen.
»Ja. Ich komme morgen.«
»Ich buche dir einen Flug. Zeit und Flugnummer maile ich dir, und ich hole dich am Flughafen ab.«
Kate wusste, dass Jordan sich auf diese Details konzentrierte, um die Situation im Griff zu behalten. Sie hätte es genauso gemacht. Mit Kontrolle konnte man Angst bekämpfen.
»Ich warte an der Gepäckausgabe.«
»Ja, okay.« Kate war so erschüttert, dass ihr die Worte fehlten. Ihre Hand tat weh, und sie merkte, dass sie den Hörer fest umklammert hielt. Sie zwang sich, sich zu entspannen.
»Hör zu«, sagte Jordan. »Ich habe beschlossen, meiner Familie nichts zu sagen, jedenfalls jetzt noch nicht. Wenn ich weiß, was los ist, sage ich es ihnen. Mom und Dad haben in den letzten Monaten genug durchgemacht. Sie sind zwar stolz auf meine Brüder, aber es ist für sie nicht einfach, dass sie bei der Polizei sind. Ich glaube, sie sind um zwanzig Jahre gealtert, als Dylan bei seinem Einsatz angeschossen wurde. Du weißt ja noch, wie schlimm das war. Eine Zeit lang haben wir doch alle nicht gewusst, ob er durchkommt.«
Kate lief ein Schauer über den Rücken. »Ja, ich erinnere mich noch gut.«
»Und du weißt auch, wie es meine Eltern mitgenommen hat. Sie haben sich gerade wieder ein bisschen beruhigt, seit er zu Hause auf Genesungsurlaub ist. Erst vorgestern hat Mom festgestellt, dass der schreckliche Anruf acht Wochen her sei und sie erst jetzt wieder durchatmen könne. Was soll ich denn da sagen, Kate? Pass auf, ich habe noch mehr schlechte Nachrichten für dich!«
»Du weißt ja gar nicht, ob es schlecht …«
»Das stimmt, aber die Ungewissheit ist genauso schlimm. Ich warte besser, bis sich alles … geklärt hat.«
»Mach es, wie du es für richtig hältst.«
»Außerdem hat Dylan Mom und Dad eine Kreuzfahrt spendiert.«
»Das ist lieb von ihm.«
»Eigentlich nicht. Er will sie eine Zeit lang loswerden. Mom macht ihn wahnsinnig. Sie kommt mindestens einmal am Tag bei ihm vorbei, um ihm was zu essen zu bringen. Er ist nicht daran gewöhnt, so umsorgt zu werden.«
»Was ist mit deiner Schwester? Ich weiß doch, wie gut du dich mit Sydney verstehst. Willst du es ihr nicht erzählen?«
»Hast du das vergessen? Sie ist doch in L. A. In zwei Wochen fängt die Filmakademie an, und sie ist noch dabei, sich einzurichten.«
»Ach ja, klar, Filmakademie. Das habe ich ganz vergessen.«
»Wenn Sydney von der Operation wüsste, würde sie sofort nach Hause kommen, und das will ich nicht. Wenn es schlecht aussieht, sage ich ihr und Mutter natürlich sofort Bescheid.«
»Ja.«
»Aber im Augenblick musst du es für dich behalten. Geht das?«
»Ja, sicher.«
Sie redeten noch ein paar Minuten lang, dann legten sie auf. Kate nahm die Papiere vom Tisch und packte sie in einen Wäschekorb. Am liebsten hätte sie sie weggeworfen, aber das würde natürlich nichts ändern.
Sie hatte ja noch ein bisschen Zeit, bevor die Gläubiger ihr die Tür einrannten. Auf dem Girokonto war genug Geld, um die laufenden Rechnungen zu bezahlen. Wenn sie aus*Boston zurückkam, würde sie sich überlegen, was sie tun sollte. Erst dann würde sie ihren Schwestern von der finanziellen Katastrophe erzählen.
Sie schaltete das Licht aus und trug den Wäschekorb nach oben in ihr Zimmer. Dort stellte sie ihn in den Schrank und machte sich fertig für die Nacht.
Sie begann erst zu weinen, als sie im Bett lag.
8
Jordan war noch nie in ihrem Leben pünktlich gewesen, so auch heute nicht. Kate wartete mit ihrer Reisetasche schon draußen, als ihre Freundin endlich vorfuhr.
Jordan sprang aus dem Wagen und umarmte Kate.
»Ich bin so froh, dass du da bist.«
»Ich auch.«
»Ich wusste, dass du kommen würdest.«
»Das ist doch selbstverständlich.«
Ein Polizist bedeutete Jordan, sie solle den Wagen wegfahren. Die beiden Frauen schwiegen, bis sie auf der Autobahn waren.
»War ich sehr viel zu spät?«, fragte Jordan.
»Nur fünfzehn Minuten.«
Lächelnd blickte sie Kate an und sagte: »Du siehst furchtbar aus.«
»Du noch schlimmer.«
Aber das stimmte nicht. Jordan war in jeder Situation eine Schönheit. Zwar waren ihre Haare von einem dunklen Kastanienbraun, aber sie hatte den hellen Teint einer Rothaarigen. Normalerweise sah sie aus wie eins dieser typisch amerikanischen,
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