Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
überlassen hatte.
»Vergiss es einfach. Das kann ich von der Steuer absetzen, weißt du. Mein Steuerberater wird begeistert sein.«
»Dann lädst du eben mich ein.«
Jenna kicherte. »Heute Abend lieber nicht. Ich muss mich zu Hause zurückmelden«, sagte sie und zog mit einer behandschuhten Hand ihr Sprechfunkgerät aus der Tasche. »Außerdem bin ich müde. Habe nicht sonderlich gut geschlafen, seit ich dieses spaßige kleine Pamphlet von meinem ›Freund‹ gefunden habe.« Dass sie nicht gut geschlafen habe, war eine grobe Untertreibung. Seit sie entdeckt hatte, dass jemand in ihr Schlafzimmer eingedrungen war, konnte Jenna keine Ruhe finden. Sie hörte merkwürdige Geräusche, manchmal auch Schritte, und hatte ständig das Gefühl, dass jemand sie auf Schritt und Tritt beobachtete. Und dieser Jemand war nicht Jake Turnquist. Das bloße Wissen, dass irgendwer in ihr Haus eingedrungen, durch die Flure geschlichen war und ihre Sachen angefasst hatte, machte sie nervös und gereizt.
»Hey, du hast doch jetzt einen Bodyguard. Geht es dir seitdem denn nicht besser?«
»So müsste es eigentlich sein, ich weiß, aber …« Jenna blickte zum Glockenturm hinauf, der bis in die tief hängenden Wolken emporragte. »… aber ich bin trotzdem reichlich angespannt.«
»Umso dringender kannst du ein Bier oder ein Glas Wein gebrauchen. Außerdem finde ich, wir müssen über unser Stück sprechen. Dir ist bestimmt auch aufgefallen, dass Madge die Rolle der Mary Bailey nicht verstanden hat«, sagte Rinda. Mit einem lauten Klicken öffnete sich ihre Wagentür.
Jenna pflichtete ihr bei, sagte jedoch: »Sie wird es schon noch schaffen.«
»Und wann? Im nächsten Jahrtausend?«
» So schlimm ist es auch wieder nicht.«
»O doch, das denke ich sehr wohl. Sieh den Tatsachen ins Auge, Jenna – Madge ist ein hoffnungsloser Fall! Mit ihr ist diese Rolle schrecklich, grauenhaft, unerhört fehlbesetzt.« Das gespenstisch blaue Licht ließ ihre Miene desto düsterer erscheinen. »Meine Schuld. Ich hätte die Rolle anders besetzen sollen.«
»Du übertreibst«, widersprach Jenna, obwohl es wirklich wehgetan hatte, Madge zuzusehen, wie sie versuchte, die Gefühlswelt der Mary Bailey darzustellen.
»Nein. Ich habe gewisse Vorstellungen von der Rolle.«
»Wenn du glaubst, ich würde einspringen, vergiss es. Madge kriegt das schon hin.« Jenna sah auf die Uhr. Ein Glas Wein war eine himmlische Vorstellung. Oder, noch besser, Kaffee mit einem Schuss Kahlua. Sie musste entspannen, den Stress in ihrem Leben vergessen, aber es war schon spät. »Lass uns das auf ein anderes Mal verschieben. Wir können ja morgen Vormittag beim Kaffee darüber reden.«
»Na gut, Spielverderberin«, willigte Rinda ein. »Dann eben beim Kaffee … Sagen wir, um zehn im Canyon Café?«
»Ich bin dabei.«
»Und du lädst mich ein.«
»Aber klar.« Jenna schloss ihren Jeep auf und stieg ein. Fröstelnd ließ sie den Motor an, verriegelte die Türen wieder und schaltete das Gebläse auf die höchste Stufe. Dann wartete sie, bis das Eis auf der Windschutzscheibe geschmolzen war. Innerhalb von fünf Minuten hatte sich ein Guckloch gebildet. Wenige Sekunden nach Rinda verließ sie den Parkplatz und folgte den roten Rücklichtern ihrer Freundin. Sie war immer noch leicht beunruhigt, weil im Theater noch Licht brannte und Lynnetta sich allein im Kellergeschoss aufhielt.
»Mach dir deswegen keine Sorgen«, redete sie sich selbst leise zu, doch die Sorge war nun einmal seit Wochen ihr ständiger Begleiter. Alles, was sie in ihrem Leben belastete, nagte an ihr, vertrieb den Schlaf. Während sie durch die verschneiten Straßen fuhr, fiel ihr auf, wie ungewöhnlich still die Stadt wirkte. Nur wenige Fahrzeuge waren auf den schmalen, von Geschäften mit üppiger Weihnachtsdekoration gesäumten Straßen unterwegs.
All die Lichter, Girlanden und Tannenkränze weckten in Jenna weder Vorfreude noch tröstliche Gefühle. Wie in jedem Jahr seit Jills Tod fürchtete sie das Weihnachtsfest, eine Zeit, die ihr leer und kalt erschien und in der sie immer wieder Schuldgefühle plagten.
Du hättest an Jills Stelle sterben sollen.
Wie oft schon waren diese Worte durch ihren Kopf gehallt?
Hundert Mal?
Tausend Mal?
Zehntausend Mal?
»Hör auf!«, sagte sie laut zu sich selbst. Sie überreagierte, weil Weihnachten bevorstand. Die beunruhigenden Briefe, die sie erhalten hatte, und die verschwundenen Frauen steigerten noch ihre Anspannung, während das Fest näher rückte.
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