Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
nervenaufreibenden Probe erschien es ihr wie ein Segen, das Theater endlich verlassen zu können.
»Okay.« Lynnettas weiche Stimme schwebte von unten zu ihnen herauf.
»Kommst du?«, rief Rinda.
»Gleich. Geht ruhig schon vor. Ich schließe ab.«
Rinda zuckte mit den Schultern und verdrehte die Augen. »Okay«, rief sie zurück. »Ich schließe hinter uns ab. Denk aber daran, dass du wieder abschließt, wenn du gehst. Und mach das Licht aus!«
»Ja, ja«, erwiderte Lynnetta laut, und die Dachbalken warfen das Echo zurück.
»Die Akustik hier drin lässt eine Menge zu wünschen übrig«, bemerkte Rinda leise. »Noch etwas, das geändert werden muss.«
»Lass uns noch warten.« Jenna verknotete den Schal unter ihrem Kinn. »Ich möchte sie nicht allein hier zurücklassen.«
»Sie ist nicht allein. Oliver ist bei ihr.«
»Ach ja, er ist sicher ein großartiger Beschützer.«
Rinda hörte nicht auf Jennas Einwände. »Lynnetta passiert schon nichts. Ich lege den Riegel vor, damit kein Schwarzer Mann hereinkann.«
»Es ist mein Ernst – du weißt selbst, dass in der letzten Zeit zwei Frauen verschwunden sind und eine tot aufgefunden wurde.« Jenna war unruhig. »Ich finde, wir sollten bleiben.«
»Wie ich Lynnetta kenne, braucht sie mindestens noch eine halbe Stunde. Mach dir um sie keine Sorgen. Sie wohnt nur ein paar Häuserblocks entfernt, und nach Einbruch der Dunkelheit ruft sie immer ihren Mann an, damit er sie abholt. Der Reverend tut ihr gern den Gefallen, und ich finde das ausgesprochen romantisch.«
»Aber in dieser Stadt ist niemand mehr sicher.«
»Ich schließe die Tür ab , okay?« Rinda legte Jenna eine Hand auf den Arm. »Wirklich, es ist alles in Ordnung. Beruhige dich.«
»Wenn ich das nur könnte.«
»Sieh mal, sie ruft ihren Mann an, und Romeo kommt her und geleitet sie sicher nach Hause.«
Jenna konnte sich nur schwer vorstellen, dass Lynnettas Mann irgendwelcher romantischen Verhaltensweisen fähig war. »Ich frage sie zur Sicherheit noch einmal.« Sie rief zur Treppe bei der Bühne hinüber: »Können wir dich wirklich allein lassen, Lynnetta?«
»Ja! Bitte. Ich komme schon zurecht.«
Rinda warf Jenna einen Blick zu, der bedeutete: »Sag ich doch!« Sie zog wissend eine Braue hoch und flüsterte: »Vielleicht will sie, dass wir gehen, weil gleich ihr Mann kommt und sie es mitten auf der Bühne treiben wollen.«
»Du bist unmöglich«, stellte Jenna fest. Dabei sah sie im Geiste Reverend Derwin Swaggart vor sich. Er war ein Mann von knapp vierzig Jahren, ein ernster Geistlicher mit langem Gesicht, schwarzem Vollbart, buschigen Brauen und einer dröhnenden Stimme, mit der er in seinen Predigten Feuer und Schwefel herabbeschwor.
»Schließlich war das hier vor nicht allzu langer Zeit eine Kirche. Sex an der Stelle, wo einmal der Altar gestanden hat, wäre doch weiß Gott verlockend.«
»Komm. Lass uns gehen, bevor unsere Unterhaltung auf ein noch niedrigeres Niveau absinkt.«
»Ist das überhaupt möglich?« Rindas Lachen klang dunkel und absolut respektlos.
»Wahrscheinlich nicht.« Jenna öffnete einen der beiden schweren Türflügel. Trocken-kalter Winterwind fegte durch den Vorraum. Draußen blickte sie zum sternenlosen Himmel auf und fröstelte. »Herrgott, wann will es endlich mal wieder wärmer werden?«
»Nie«, weissagte Rinda, verriegelte die Tür hinter sich und probierte noch einmal die Klinke, um sich zu vergewissern, dass wirklich abgeschlossen war. »Laut dem Wettebericht in KBST ist kein Ende absehbar.« Sie stiegen die Außentreppe hinunter. »Es wäre an der Zeit, nach Süden zu fliehen, bevor es zur Aufführung unseres Stücks kommt und die Lokalpresse uns in der Luft zerreißt.«
»Hat dir schon mal jemand erklärt, dass das Glas manchmal auch halb voll sein kann?«
»Nein, nie«, antwortete Rinda. Sie folgten einem betonierten Weg zum beinahe leeren Parkplatz, auf dem unter einer einsamen Straßenlaterne ihre beiden Fahrzeuge warteten. Die Autos waren in ein schwaches blaues Licht getaucht, das die dünne Eisschicht schimmern ließ. Der Wind fegte durch eine Gasse und über den Platz hinweg und drang durch Jennas dicke Daunenjacke, als sei sie aus hauchdünner Spitze.
»Hast du noch Zeit für ein Bier?« Rinda spielte mit ihrem Schlüsselring. »Ich lade dich ein. Das ist das Mindeste, was ich nach deiner Spende fürs Theater heute tun kann«, sagte sie, wobei sie sich auf die Kleider, Schuhe und Handtaschen bezog, die Jenna dem Theaterfundus
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