Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
vorsah.
Präzision. Das war der Schlüssel. Präzision.
Heute Abend wäre er um ein Haar entdeckt worden.
Weil er übereifrig gewesen war.
Noch einmal schalt er sich selbst und schloss für ein paar Sekunden die Augen, ließ den kalten Wind über sein Gesicht streichen, den Zorn in seinem Blut abkühlen. Winzige Eiskristalle liebkosten sein Gesicht, und er stellte sich vor, von Jennas kühlen Lippen geküsst zu werden. Oh, welch eine süße, süße Hingabe.
Aber sie hatte ihn nicht geküsst. Nicht an diesem Abend. Nein, sie hatte sich auf die Zehenspitzen gereckt und mit kühlen Lippen das Gesicht dieses Dreckskerls liebkost.
Vor Wut spannten sich seine Muskeln an.
Das Erscheinen des Sheriffs hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen. Er hatte seine Mission gerade eben erfüllt und war noch geblieben, um die Kleidersäcke, die Jenna gestiftet hatte, durchzusehen auf der Suche nach dem perfekten Halstuch für Zoey Trammel … Ein grünes Halstuch, grob gewebt und mit Goldfäden durchzogen, wie dasjenige, das sie in A Silent Snow trug und ständig befingerte. Übrigens ein passender Titel, noch dazu mit ironischem Unterton.
Als er hörte, dass sie der Theatertruppe noch mehr Kleidung vermachen wollte, hatte er gehofft, ein paar kleine Kostbarkeiten für seine Sammlung zu finden. Einschließlich des Halstuchs. Doch er hatte sich bitter getäuscht. Das meiste, was er sah, war Müll. Alte Kleider, aus denen ihre Kinder herausgewachsen waren, oder Kleider von ihr, die nichts mit ihren Filmen zu tun hatten. Er hatte ein paar der Kleidungsstücke an die Wange gehalten, sein Gesicht darin vergraben in der Hoffnung, ihren Duft wahrzunehmen, einen Hauch von ihrem Parfüm, doch er war enttäuscht worden. Zudem hatte er erwartet, ein paar Slips oder BHs zu finden, doch Unterwäsche war nicht dabei, nicht einmal ein Unterrock oder Body.
Tiefe Enttäuschung nagte an ihm.
Die Suche hatte sich nahezu als fruchtlos erwiesen. Bis er den Rucksack fand und erkannte, zu welchem Zweck er zu gebrauchen war. Ein Köder. Ein hässlicher kleiner Köder. Der Gedanke lockte ein Lächeln auf sein Gesicht, und er schlug die Augen auf. Von seiner hohen Warte aus blickte er auf die Lichter der Kleinstadt hinunter und weiter bis zum trüben Columbia River, in dessen Wasser sich Eisschollen türmten, was den Schiffsverkehr zum Erliegen brachte und die Bevölkerung in Panik versetzte. Sogar die Zuflüsse waren bereits bis auf den Grund gefroren, die Wasserfälle, die von den umgebenden Felsen stürzten, waren zu Eiskaskaden erstarrt.
Die perfekte Zeit zum Töten.
Die Erregung jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Er betrachtete diesen neuerlichen, frischen Schneefall als Omen, als Zeichen, dass alles sich der Vollendung näherte.
Er wartete noch ein paar Minuten, blickte über den Parkplatz und die vereisten Straßen hinweg und vergewisserte sich, dass der Sheriff keinen Streifenwagen zum Theater geschickt hatte. Als er schließlich überzeugt war, dass keine Störung mehr zu erwarten sei, machte er sich wieder an die Arbeit.
Er warf sich den Kinderrucksack über die Schulter und begann den Abstieg. Mit raschen, geräuschlosen Schritten lief er stetig in die Tiefe. Das dumpfe, skelettartige Innere des Glockenturms schützte ihn vor dem Wetter, die baufällige Wendeltreppe ächzte leise unter seinem Gewicht.
Er hielt erst inne, als er im Kellergeschoss angelangt war. Diesen Bereich kannte er wie seine Westentasche.
Er schlich an alten, an die Wand gelehnten Kulissen vorbei, einen dunklen Gang mit Schminktischen entlang, dann um eine Ecke zu einem nahezu vergessenen Lagerraum unter dem Boden der im Erdgeschoss gelegenen Bühne.
Sein Puls raste vor gespannter Erwartung, als er vor dem Schrank stand, den er als den seinen betrachtete – einem engen, dunklen Raum, in dem er sich als Kind hinter aufgestapelten Klappstühlen versteckt hatte. Von diesem Geheimplatz aus hatte er gehört, wie der Geistliche mit lauter Stimme predigte, hatte das Scharren der Füße eine Etage höher gespürt, der Klaviermusik gelauscht, den herrlichen, melodischen Tönen des Vorspiels zu den Hymnen, bevor der Chor oder die Gemeinde mit so lautem Gesang einsetzten, dass er sich die Ohren zuhalten musste.
Dies war sein ganz privater Unterschlupf, ein kalter, dämmriger Ort, an den er sich zurückziehen konnte und von dem niemand wusste. Seine Kammer. So gut wie ungestört.
Jetzt öffnete er mit seinem Schlüssel die Tür, und modrige Luft drang aus der
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