Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
sich zugebilligt hatte, beinahe verstrichen war. Nachdem er die Tastatur abgewischt hatte, lief Carter eilig die Treppe hinauf und sah sich in zwei kleinen, kalten Schlafzimmern voller überschüssiger Möbel und Kleidung um, die allem Anschein nach nicht genutzt wurden, nicht einmal als Gästezimmer. Auf Tischen, Sesseln, einem Bett ohne Matratze und leeren Schränken stapelten sich Kisten. Mit einem raschen Blick stellte Carter fest, dass die Kisten mit alten Papieren gefüllt waren, Steuerbescheiden und dergleichen – also nicht das, wonach er suchte.
Er rührte in den unbewohnten Schlafräumen nichts weiter an, sondern durchsuchte nun das einzige Bad und schließlich Wes Allens Schlafzimmer. Es war zweckmäßig und spärlich möbliert wie der Rest des Hauses; auf einem geknüpften Teppich standen ein schmiedeeisernes Bett, ein einsamer Schreibtisch, der zugleich als Fernsehtisch diente, und ein Nachtschränkchen, auf dem eine Lampe, eine Lesebrille, eine Schachtel mit Papiertüchern und die Fernbedienung Platz fanden. Sauber. Ordentlich. Alles an seinem Ort. Fast als hätte Wes Gäste erwartet.
Carter sah auf die Uhr. Das Spiel war jetzt vermutlich beendet, es sei denn, es gab eine Verlängerung. Er musste sich beeilen.
Rasch durchsuchte er den Schrank, fand nichts, öffnete eine Nachttischschublade, und als er den Strahl seiner Taschenlampe ins Innere richtete, stockte ihm der Atem. Die Schublade war leer bis auf ein paar Schmuckstücke und einen Stapel Fotos.
Von Carolyn.
Ein säuerlicher Geschmack stieg in seiner Kehle auf, als er die Fotos anschaute.
Bilder von Carolyn, wie sie lachte, herumalberte, auf etwas zeigte oder auf ihre Unterlippe biss. Fotos von ihr in Jeans und Sweater, im Bikini, in einem spitzenbesetzten Body. Schnappschüsse von ihr, wie sie im Fluss watete, am Steuer von Wes’ Pick-up saß, auf einem Bett mit zerwühlten Laken lag.
Carter schloss die Augen und stieß die Luft aus. »Dreckskerl.« Er biss so heftig die Zähne zusammen, dass seine Kiefer schmerzten. »Verdammter Deckskerl!«
Der alte, heiße Schmerz des Betrogenwerdens schnitt in sein Bewusstsein.
Was hast du erwartet, als du hierher gekommen bist, um zu spionieren?
War es von vornherein ein sinnloses Unterfangen gewesen? Ein privater Rachefeldzug, wie Amanda Pratt vermutet hatte? War es das hier, wonach er in Wirklichkeit gesucht hatte?
Er erwog, die Fotos zu verbrennen, legte sie dann jedoch zurück in die Schublade und schob diese wieder zu.
Bei dieser Suche ging es nicht um ihn. Auch nicht um Carolyn. Es ging um Jenna Hughes und ihre Sicherheit. Aber er hatte nichts gefunden.
Bis jetzt.
Dennoch konnte er die Fotos von Carolyn nicht einfach in der Schublade liegen lassen. Während er sich innerlich einen Idioten schimpfte, nahm er die Bilder wieder heraus und steckte den ganzen Stapel ein. Sollte Wes doch bemerken, dass sie fehlten. Was konnte er schon tun? Auf die Wache kommen und Carter bezichtigen, Schnappschüsse von seiner Frau gestohlen zu haben?
Ohne länger zu überlegen, ging er zurück ins Erdgeschoss und zuckte heftig zusammen, als eine alte Standuhr bei der Haustür die volle Stunde schlug. Er blickte auf dem Weg zur Hintertür in jeden Schrank und in jedes Regalfach, schlüpfte dann hinaus und schloss hinter sich ab. Beeil dich. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit. Fordere dein Glück nicht heraus.
Nachdem er seine Stiefel angezogen hatte, trat er von der Veranda. Er entdeckte den Eingang zum Keller, eine Außentür, die ins Untergeschoss führte. Abgeschlossen. Spuren im Schnee führten auf sie zu.
In einer Schublade nahe der Hintertür hatte er einen Schlüsselbund gesehen.
Obwohl seine Zeit ablief, konnte er es nicht ertragen, so weit gekommen zu sein, so viel riskiert und das Werk dann doch nicht vollendet zu haben. So schnell wie möglich stapfte Carter in seinen eigenen Spuren zurück, holte den Schlüsselbund und ging wieder zur Kellertür. In all den Jahren seiner Bekanntschaft mit Wes Allen hatte er diese Schwelle nicht einziges Mal überschritten.
Carter probierte sechs Schlüssel aus, ehe er den passenden fand. Während er mit der Taschenlampe vor sich leuchtete, trat er vorsichtig ein, schloss die Tür hinter sich und stieg die alte Holztreppe hinunter in einen feuchten, gemauerten Keller, gerade so hoch, dass er aufrecht stehen konnte. Der schmale Strahl seiner Taschenlampe fiel auf alte Einweckgläser, Werkzeug, unbenutztes Jagd- und Angelgerät, Wathosen, ein Kanu, das schon
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