Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
schon einmal in der Stadt gesehen zu haben, doch er schien sich verändert zu haben. Er war schlanker, als sie ihn in Erinnerung hatte, sein Haar dünner und anders gefärbt. Als sei er verkleidet … oder als sei er die ganze Zeit vorher verkleidet gewesen.
Selbst seine Augen waren anders. Grausam. Wie glitzernde blaue Steine, tief in ihren Höhlen liegend. Von einer Bosheit, wie sie sie nie zuvor gesehen hatte.
Sie schluckte heftig, als sie das Gerät in seiner Hand erkannte. Es war ein zahnärztliches Gerät: ein Gummibogen mit einem Rahmen aus rostfreiem Stahl – ein Gerät, mit dem der Mund gewaltsam offen gehalten wurde.
Nein! Panik bemächtigte sich ihrer, obwohl sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Sie musste raus hier! Jetzt gleich! O Gott, es gab keinen Fluchtweg. Sie war an diesen Stuhl gefesselt. Über die Musik und ihr eigenes wildes Herzklopfen hinweg hörte sie eine Stimme.
Bleib ruhig, Lynnetta, ich bin bei dir.
War es die Stimme Gottes, die sie hörte … oder war es eine Halluzination? Wurde über den an ihrem Handgelenk befestigten Tropf etwa irgendeine psychedelische Droge in ihre Adern gepumpt? Sie senkte den Blick auf ihre Hand und bemerkte erst jetzt den Verband … einen dicken Streifen Gaze, der um ihre Finger gewickelt war. Was sollte das alles? Da war ein dunkelroter Fleck – zweifellos Blut – in der Gaze, Blut, das von ihrem Ringfinger durch den Verband sickerte … Trotzdem verspürte sie keinen Schmerz, aber die Hand fühlte sich merkwürdig an. Verzweifelt versuchte sie, die Finger zu bewegen, doch es gelang ihr nicht. Wahrscheinlich wegen der Droge, die aus dem verdammten Tropf in ihren Kreislauf gelangte. Die klare Flüssigkeit musste etwas enthalten, das ihren Verstand benebelte und den Schmerz betäubte.
Warum war ihre Hand verbunden? Hatte sie sich gewehrt? Gekämpft? Sie konnte sich nicht erinnern. Und ihr blieb keine Zeit zu überlegen.
Er kam näher.
Angst ließ ihr Blut gefrieren.
Setze dein Vertrauen in mich. Wieder die Stimme des Herrn, der sie beruhigen wollte, der hoffte, dass ihr Glaube sie aufrecht hielt.
Bitte, Vater im Himmel, hab Gnade , betete sie und schloss die Augen, als sie Luzifers heißen Atem auf ihrem kalten Gesicht spürte. Sie dachte an die Märtyrer, die vor ihr hatten sterben müssen, an die furchtlosen Seelen, die das von Gott auferlegte Schicksal annahmen. Aus irgendeinem Grund stellte der Vater im Himmel sie auf die Probe, doch sie würde nichts fürchten … Er würde sie erlösen. Dessen war sie sicher.
Sie dachte an den Frühling und an ihre lieben verstorbenen Eltern, dann an Derwin, einen umgetriebenen Mann, aber doch einen Mann, der sie geliebt hatte … Und sie dachte an ihren Sohn Ian, noch nicht ganz erwachsen, in Versuchung geführt durch alles, was den Jugendlichen heutzutage verfügbar war. Steh ihnen bei, lieber Gott , betete sie. Was auch immer diese abscheuliche Inkarnation des Teufels mit ihr vorhatte, sie würde niemals ihren Glauben verlieren. Nie! Bald würde sie zu Hause sein. Bald würde sie bei Ihm sein. Sie würde, wie die Märtyrer vor ihr, wie Jesus, der am Kreuz gelitten hatte, auf Erden höllische Schmerzen erdulden, um im Himmel belohnt zu werden.
Ich werde bei dir sein, Jesus, mein Herr, bald werde ich bei dir sein.
Sie hielt die Augen noch immer geschlossen, wehrte sich nicht, als der Unhold ihr grob den Gummibogen in den Mund schob, wimmerte nicht einmal, als er die Schrauben anzog, sodass ihre Kiefer auseinander gezwungen wurden, bis es schmerzte und die Lippen aufs Äußerste gespannt waren. Ihre Zunge und ihre Zähne waren ihm ausgeliefert. Sie zuckte nur leicht zusammen, als sie das Summen des Bohrers vernahm, doch dann konzentrierte sie sich ganz und gar auf ihr Gebet, verdrängte jeden Gedanken aus ihrem Bewusstsein.
Vater unser, der du bist im Himmel …
Der Bohrer kreischte an ihren Zähnen, schrie gellend auf, während ihr ein Geruch wie von verbranntem Email in die Nase stieg, und sie wusste, dass es nur noch Sekunden dauern würde, bis der erbarmungslose Bohrer einen Nerv traf.
36. Kapitel
I m Grunde war es kein Einbruch
Er besaß ja einen Schlüssel.
Den Schlüssel, den Wes Allen Carolyn vor Jahren gegeben hatte und der jetzt in der Vordertasche von Shane Carters Jeans steckte.
Aber du hast keinen Durchsuchungsbefehl. Was immer du findest, hat vor Gericht keinen Beweiswert. Du wirst deinen Job verlieren.
Beinahe vier Tage lang hatte Carter mit der Entscheidung
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