Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
Teil von ihr musste dringend raus hier, raus aus diesen vier Wänden, wo sie mit ihrer überreizten Mutter, ihrer bekloppten Schwester und dem wachsamen Bodyguard eingesperrt war.
»Überleg’s dir«, sagte Josh und legte auf.
Cassie nagte an ihrer Unterlippe und blickte aus dem Fenster. Hörte es denn überhaupt nicht mehr auf zu schneien, verdammt? Sie langweilte sich zu Tode, und ihre Mutter und sie gingen einander entsetzlich auf die Nerven.
Sie hätte beinahe mit Josh Schluss gemacht … hatte es sich dann jedoch anders überlegt.
Aber auszureißen unter dem Vorwand, an der Mahnwache für Lynnetta Swaggart teilnehmen zu wollen? War das nicht zu idiotisch? Und zu scheinheilig?
Sie warf sich wieder in die Kissen und kämpfte mit den Tränen.
Ihr Leben war Scheiße.
» Ich komme dich holen …«, flüsterte eine körperlose Stimme über das vereiste Land hinweg. Vom mondlosen Himmel rieselten wie an Schnüren aufgereiht winzige Schneeflocken.
Die Stimme schien aus allen Richtungen zugleich zu kommen – von den Bergen, vom vorbeirauschenden Fluss, aus dem dunklen Wald.
»Wer bist du?«, rief Jenna, außer sich vor Angst. Sie lief, so schnell sie konnte, sog keuchend die kalte Luft ein und blickte über die Schulter zurück in dem Versuch, ihren Verfolger auszumachen. Sie sah nichts, aber er war da, jagte sie, verfolgte jede ihrer Bewegungen. Sie ahnte ihn. Fühlte ihn. Wusste, dass er sie jagte.
Es gab kein Entrinnen, und dennoch rannte sie. Ihre bloßen Füße glitten auf dem von Raureif überzogenen Boden aus, ihr enges schwarzes Kleid behinderte sie, bremste ihren Lauf.
»Jenna … Jennaaaaaa.«
Sie starb tausend Tode, wenn sie seine Stimme hörte. Sie schien von überall her auf sie einzudringen. »Wer bist du?«, verlangte sie zu wissen, während der Wind an ihrem Haar zerrte und in ihre Wangen biss.
»Das weißt du doch.«
»Nein!« Ihre Beine waren bleischwer, zogen sie tiefer in den Schnee, ihr Kleid riss und schälte sich von ihrem Körper, während sie verzweifelt den Weg zwischen den Grabsteinen hindurch suchte, sich mit vor Kälte brennender Haut durch das Schneegestöber kämpfte.
Flüsternd ertönte es an ihrem Ohr: »Ich bin der Mann schlechthin.« Tief, männlich, kehlig hallte die Stimme über den Friedhof.
»Lass mich in Ruhe.« Sie stolperte über eine niedrige Steinmauer, die unter dem Schnee verborgen lag.
»Warte auf mich …«
»Lass mich in Ruhe, zum Teufel!«, schrie sie, drehte sich um und sah nichts. Kein Monster. Kein Gespenst. Keine grauenhafte Gestalt, die sie verfolgte. Unentwegt fielen Schneeflocken vom Himmel, wirbelten und tanzten durch die Nacht.
»Du bist meine Frau …«
»Ich bin niemandes Frau, du Satan!« Sie wandte sich um und rannte weiter, doch etwas packte sie von unten, hielt sie fest, kräftige Finger umklammerten ihren Knöchel. Jenna blickte hinab, geradewegs in das Gesicht von Lynnetta Swaggart.
Lynnetta, mit frisiertem Haar und etwas wie einem Heiligenschein um den Kopf, lächelte selig zu ihr auf und sagte: »Du hast dein Kleid zerrissen, Jenna.« Die blauen Augen trübten sich sorgenvoll. »Gib auf dich Acht. Ich kann es dir jetzt nicht mehr flicken.«
»Lynnetta! Gott sei Dank, du bist wohlauf!«
Lynnettas glückseliges Lächeln wurde maliziös. »Sinnlich … stark … erotisch …«, wiederholte Lynnetta, als hätte sie die Worte auswendig gelernt.
»Was tust du hier? Wer hat dich hergebracht?«, wollte Jenna wissen.
»Du bist die Frau schlechthin.«
»Ach, hör auf!«
»Ts, ts. Es ist deine Bestimmung.«
»Bestimmung? Nein …« Besinnungslos vor Angst blickte Jenna sich um, sah die verfallenden Grabsteine, die sie umgaben. Die Nacht wurde dunkler und schloss sie ein. »Ich habe keine Bestimmung.«
»Doch, natürlich. Ich rede von Gott, Jenna«, sagte Lynnetta. »Er ist der einzige Schlüssel zu deiner Erlösung.«
»Gott hat mit dieser Sache nichts zu tun.«
»Seine Wege sind oft rätselhaft.«
»Das ist doch Quatsch, Lynnetta.«
»Wo sind deine Kleider?«
»Was?« Jenna sah an sich hinab und erkannte, dass sie nackt war. Das schwarze Etuikleid verhüllte ihren Körper nicht mehr, und ihr war kalt … so verflucht kalt … Sie fröstelte. Schneeregen peitschte ihre Haut und hinterließ kleine rote Striemen. »Ich weiß es nicht.«
»Dann finde sie, du ungezogenes, sündiges Mädchen. Ts, ts, Jenna. Schäm dich. Solch schmutzige Filme zu machen …« Lynnettas friedliches Lächeln erstarb, und dann war sie
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