Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
Zeit bleiben sollte. Es sei denn, Wes brach vor Ende der Übertragung auf.
Carter hatte erwogen, BJ in seinen Plan einzubeziehen, sie zu bitten, an der Bar sitzen zu bleiben, Bier zu trinken und darauf Acht zu geben, dass Wes sich nicht von seinem Barhocker rührte. Doch BJ hätte Fragen gestellt, und dann hätte er sie in die Sache hineinziehen müssen, die, wenn nicht tatsächlich illegal, so doch grenzwertig war. Nein, das hier erledigte er besser allein.
Er hielt inne, um sich noch einmal zu vergewissern, ob sich wirklich niemand auf der Farm aufhielt. An den Stamm einer Douglasie gelehnt, die – weshalb auch immer – von der Holzfälleraxt verschont geblieben war, sah er zu, wie sein Atem in der stillen Nacht zu Nebel kondensierte. Auf dem fernen Highway blitzen Scheinwerfer auf, nur wenige und in großen Abständen. Irgendwo rumpelte ein Zug über weit entfernte Gleise, doch kein Hund bellte. Das zweistöckige Farmhaus mit seinen breiten Veranden, dem steilen Dach und dem abblätternden Putz wirkte verlassen, nirgendwo brannte Licht.
»Jetzt oder nie«, sagte er zu sich selbst und schritt behutsam durch den Wald zur Scheune, wo er stehen blieb und auf Geräusche von einem Hund oder einem anderen Tier lauschte, doch er hörte nichts, kein Gebell, kein aufgeschrecktes Wiehern. Carter schlich durch ein morsches Tor auf die dunkle hintere Veranda, die er vor Jahren so oft betreten hatte.
Bevor Wes und Carolyn ein Liebespaar wurden.
Mit zusammengebissenen Zähnen stieg er die zwei Stufen zur Hintertür hinauf. Mit den Zähnen zog er sich einen Handschuh aus, um seine Brieftasche hervorzuholen und ihr den Schlüssel zu entnehmen.
Das Schloss ließ sich problemlos öffnen. Carter verzog das Gesicht, wappnete sich gegen den Heulton einer Alarmanlage, die Wes womöglich in den vergangenen Jahren installiert haben könnte. Doch das einzige Geräusch war das Klacken des Schlosses.
So weit, so gut.
Er ließ seine Stiefel auf der Veranda zurück und schlich auf Socken durch die Flure, die ihm vor Jahren so vertraut gewesen waren.
Der Geruch im Haus hatte sich nicht verändert. Carter bemerkte eine Reihe leerer Halbliter-Dosen Bier der Marke Coors auf dem Küchentresen. Die Einrichtung – eine chaotische Zusammenstellung unterschiedlichster Möbel, die Wes gefiel und die deutlich verriet, dass keine Frau hier Hand angelegt hatte – war dieselbe, ein bisschen verstaubt, doch das Wohnzimmer mit seinen zwei Lehnsesseln, dem langen Sofa und dem Großbildschirm-Fernseher mit Surround-Sound-System war aufgeräumt.
Bodendielen knarrten unter Carters Füßen, als er ein Zimmer nach dem anderen durchsuchte, den Strahl seiner Taschenlampe über einen Esstisch mit einer wohl zehn Jahre alten Blumendekoration gleiten ließ, auf dessen ehemals glänzendem Holz sich jetzt Staub sammelte, dann in einen kleinen Raum neben der Treppe, einen Salon, den Wes als Arbeitszimmer benutzte. Auf der breiten Schreibtischplatte lag neben einem Computer der jüngsten Generation säuberlich aufgeschichtet die Post. Ein Stapel Rechnungen, ein Stapel Zeitungen, ein Stapel Zeitschriften. Als Carter sie durchsah, entdeckte er nichts Ungewöhnliches – die Rechnungen bezogen sich auf Dienstleistungen und Ähnliches, dazwischen Kreditkartenangebote zu günstigen Bedingungen, die Zeitschriften reichten von Popular Science und Hunter’s World bis zu Playboy und Penthouse .
Der Computer war auf Standby geschaltet und erwachte auf Tastendruck zum Leben. Carter sah auf die Uhr. Er hielt sich seit zehn Minuten im Hause auf – er würde sich nur noch weitere zehn Minuten gestatten, für den Fall, dass das Spiel Wes langweilte.
Da er Wes Allens eigenen Computer benutzte, erhielt er problemlos Zugang; alle Einstellungen waren gespeichert. Carter prüfte Wes’ jüngste Aktivitäten: eBay und Jenna Hughes’ Website standen ganz oben auf der Verlaufsliste. Auch unter den Bookmarks fand der Sheriff die Adressen von eBay und Jenna Hughes, außerdem ihre Fanseiten und Pornoseiten, dazu Websites zu den Themen Basketball, Elektronik, Heimwerken und Kunst. Carter kopierte die Liste, schickte sie an sich selbst und löschte die abgeschickte Mail. Falls Wes schlau war und genauer hinsah, würde er es herausfinden, doch Carter wäre jede Wette eingegangen, dass Wes Allen nie auf die Idee kommen würde, jemand könnte ihm in seiner Abwesenheit einen Besuch abgestattet haben.
Die Anzeige der Systemuhr auf dem Monitor ermahnte ihn, dass die Zeit, die er
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