Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
fragte er. BJ verblüffte ihn immer wieder.
»Ich bin Internet-Freak.«
»So so, du surfst also im Internet, während ich mir draußen im schlimmsten Unwetter des Jahrhunderts den Arsch abfriere«, stellte er vorwurfsvoll fest, lehnte sich mit der Hüfte gegen seinen Schreibtisch und vertiefte sich wieder in den Bericht.
»Und dabei trinke ich heiße Schokolade und lutsche Bonbons.« Sie zog keck eine rötliche Augenbraue hoch. »So sollte es doch sein, oder?«
»Unbedingt«, versetzte er sarkastisch, während er versuchte, die neuen Informationen zu verdauen. »Und was hat es nun mit diesem Alginat und dem Latex auf sich?«
»Vielleicht besteht da ein Zusammenhang zu der Tatsache, dass ihre Zähne abgeschliffen wurden.«
Er hob den Blick und fragte: »Du glaubst, hier läuft ein sadomasochistischer Zahnarzt frei herum?«
»Ich weiß doch auch nicht, was dahintersteckt.« Plötzlich war sie völlig ernst. Carter spürte, wie der Humor sich in der kalten Luft auflöste. »Aber es gefällt mir nicht.«
»Mir auch nicht.«
»Die Gerichtsmediziner schätzen, dass sie bereits seit annähernd einem Jahr tot ist.«
Carter nickte und las weiter in dem Bericht.
»Sonst noch was Neues?«
»Das Labor arbeitet weiter daran, aber die Spurensicherung hat keinerlei Reifen- oder Fußspuren gefunden, von denen sie hätten Abdrücke nehmen können, und bisher auch kein weiteres Beweismaterial in der Umgebung.«
»Sie ist doch wohl nicht aus eigener Kraft in diesen Baumstamm gekrochen.«
»Nein, aber der Täter hat seine Spuren verwischt, und es ist lange her, fast ein Jahr. Die Jahreszeiten wechseln, Wildtiere verschleppen Körperteile, Bodenerosion und Regen lassen Fußabdrücke verschwinden. Jegliche Spuren, die der Täter womöglich hinterlassen hat, können inzwischen tief begraben liegen. Aber bisher wurde auch mit dem Metalldetektor nichts gefunden.« BJ fuhr sich mit der Hand durch das kurze Haar. »Weißt du, was mir keine Ruhe lässt? Die Zähne. Die gehen mir einfach nicht aus dem Sinn. Warum bringt man jemanden um und nimmt sich die Zeit, die Zähne abzuschleifen?«
»Vielleicht hat er es getan, als sie noch lebte.«
»Himmel. Sag nicht so was. Ich hasse Zahnärzte und Bohrer und … Gott, das ist alles so verdreht.«
»Vielleicht macht ihn das scharf.«
»Dann müssen wir den Scheißkerl fassen.«
»Sofern er noch in der Gegend ist. Ein Jahr ist eine lange Zeit. Vielleicht hat er sich inzwischen was zu Schulden kommen lassen und sitzt ein. Die Staatspolizei prüft nach, ob es weitere Fälle wie diesen gibt, ob gelöst oder ungelöst.«
»So einen Fall gibt es nicht noch einmal«, entgegnete sie. »Das hoffe ich zumindest.«
»Ich auch«, pflichtete er ihr bei. Während sie über den Flur davonging, ließ er sich an seinem Schreibtisch nieder. Er fragte noch einmal bei der für vermisste Personen zuständigen Behörde an und verfasste dann seinen Bericht über den Unfall auf dem Freeway, während er zwischendurch Anrufe entgegennahm und mit einem Auge immer wieder zum Fenster schielte, wo der Schnee sich vor den vereisten Scheiben häufte.
Jenna zog sich die Skimütze über die untere Gesichtshälfte und legte die drei Häuserblocks von der Werkstatt bis zum Postamt zu Fuß zurück. Laut Skip Uhrig, dem Besitzer der Werkstatt, sollte ihr Jeep binnen weniger Stunden wieder fahrtüchtig sein. Anscheinend war nur die Zündung defekt.
Ein Problem weniger, aber Tausende warten noch auf eine Lösung, dachte sie, während sie die Straße überquerte, sorgsam darauf bedacht, auf dem vereisten Pflaster nicht auszugleiten. Schnee fiel vom grauen Himmel, so dicht, dass sie die nächste Straßenecke schon kaum noch sehen konnte; ihre Kinder waren beide zu Hause, da sie wegen des Wetters früher Schulschluss hatten, und bisher war keiner der Handwerker, die sie angerufen hatte, aufgetaucht. »Es ist ja noch früh«, beschwichtigte sie sich selbst und stieß die Glastür zum Postamt auf, einem gelben Backsteingebäude, das gut und gern hundert Jahre alt war.
Es gab vier Schalter, von denen jedoch nur einer besetzt war. Das machte nichts, denn davor warteten ohnehin nur zwei Leute. Eine weitere Person, eine große Frau in Parka, Kopftuch und Skihose, blickte sich immer wieder um und musterte Jenna über die Schulter hinweg, während sie ihr Postfach öffnete und ihm einen Stapel Briefe entnahm. Jenna achtete nicht auf sie. So etwas erlebte sie ständig. Entweder erkannten die Leute sie und verstummten schlagartig
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