Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
ihm allein gegangen wäre, hätte Carter den Vierten Stand lieber aus jeglicher Ermittlung herausgehalten, aber vielleicht war es jetzt doch an der Zeit, die örtlichen Fernseh- und Radiosender sowie die Zeitungen um Hilfe bei der Suche nach Sonja Hatchell zu bitten. Die Staatspolizei hatte die Öffentlichkeit bereits aufgefordert, sich mit eventuellen Hinweisen auf die Umstände von Sonjas Verschwinden an die Polizei zu wenden. Bisher war jedoch nur bekannt, dass Lou und sein Neffe, die beide im Imbiss arbeiteten, die Letzten waren, die Sonja gesehen hatten. In dem Augenblick, als sie nach Beendigung ihrer Schicht das Lokal verließ, schien sie spurlos verschwunden zu sein.
»Wenn jemand Sonja also mit Waffengewalt in ihr Auto gedrängt hat, muss sie irgendwohin gefahren sein. Wie weit konnte sie bei dem Unwetter kommen?«
»Ihr Wagen hat Allradantrieb.«
»Was nicht heißt, dass sie auf den vereisten Straßen keine Probleme bekommen hätte. Und viele Verkehrswege waren gesperrt.«
»Du glaubst, der Täter ist ein Einheimischer?«
»Könnte sein«, antwortete BJ, »und ich habe so ein Gefühl – nenn es Instinkt oder weibliche Intuition –, dass Sonjas Verschwinden in einem Zusammenhang mit dem Fall der unbekannten Toten stehen könnte.«
Carter hörte auf, mit dem Bleistift zu spielen, und sah BJ direkt in die Augen. »Weibliche Intuition scheidet aus, denn diesen Gedanken hatte ich auch schon. Es ist allerdings ziemlich weit hergeholt, denn bislang gibt es keinerlei Verbindungen zwischen den beiden Frauen oder den Fällen.«
»Abgesehen davon, dass beide Vorfälle höchst merkwürdig sind. Völlig untypisch für diese Gegend.« BJs Nasenflügel blähten sich leicht, als hätte sie einen üblen Geruch wahrgenommen. »Das ist für meinen Geschmack eine zu große Häufung von Zufällen.«
»Die Staatspolizei geht nicht darauf ein. Aber ich habe mit Sparks über einen möglichen Zusammenhang gesprochen. Er ist ein guter Polizist, er wird es nicht einfach ignorieren. Zumindest wird er diese Möglichkeit gründlich abklopfen. Inzwischen sind alle Polizeibehörden zur Mithilfe aufgerufen, und in Oregon, Washington, Idaho und Kalifornien ist eine Suchmeldung für Sonja und ihren Wagen herausgegeben worden. Ein Bild von Sonja wurde bereits in den Nachrichten gesendet.« Er trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte, war sich bewusst, dass immer mehr Zeit verstrich, dass noch schlechteres Wetter bevorstand und dass die Chance, Sonja lebend zu finden, ständig geringer wurde.
»Wie geht’s Lester?«, fragte BJ, stand auf und reckte sich.
»Er reißt sich zusammen. Wenn auch mit Mühe. Aber er muss. Wegen der Kinder.«
»Was für ein Schlamassel.« BJ trat ans Fenster und blickte hinüber zu Danby’s Einrichtungshaus. »Es liegt an diesem verdammten Wetter. Es macht uns alle verrückt.«
»Meinst du? Und ich hatte gedacht, es läge am Wasser.«
»Sehr witzig, Carter«, spottete sie, brachte aber doch ein Lächeln zustande, als sie sein Büro verließ. »Wirklich sehr witzig.«
»Finde ich auch.« Doch das war gelogen. In Wahrheit fand er neuerdings nichts mehr witzig. Überhaupt nichts.
»… Ich werde Robert ausrichten, dass Sie angerufen haben«, versprach die Sekretärin ihres Exmannes.
»Tun Sie das.« Jenna legte den Hörer auf. »Toll.« Wieder einmal war der Vater ihrer Kinder während einer Krisensituation nirgends aufzufinden. Wieder einmal musste sie allein fertig werden. Was letztendlich wahrscheinlich alles ein wenig leichter machte.
Es war zehn Uhr morgens, und beide Mädchen schliefen noch, aber das sollte sich bald ändern. Jenna stieg leise die Treppe hinauf, ging an Allies Zimmer vorbei, klopfte leicht an Cassies Tür und stieß sie auf. Im Zimmer herrschte Chaos. Trotz der geschlossenen Jalousien sah Jenna, dass Cassies Kleider vom Vorabend dort, wo sie sie ausgezogen hatte, in einem unordentlichen Haufen am Fußende ihres Betts lagen. CDs und Bücher lagen auf dem Fußboden verstreut, Make-up-Töpfchen, Nagellack, Cremes und Parfümflakons standen überall auf dem Schreibtisch und in den Regalen herum. Teller und Gläser, Wasserflaschen und leere Kartons bedeckten Fußboden, Schreibtisch, Nachttisch und Fensterbank. Der Abfallkorb quoll über.
Entweder war Cassie eine unverbesserliche Schlampe, oder sie war deprimiert.
Vielleicht ein bisschen von beidem. Was Jenna verstehen konnte.
Cassie hatte die Scheidung ihrer Eltern durchlitten. Der Umzug nach Oregon war ihr schwer
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