Sanfte Eroberung
ihrer Kindheit wünschte sie sich, Reisen zu unternehmen, sich in eine Welt voller Abenteuer zu stürzen. Nun jedoch hatte sie einen ganz anderen Wunsch. Sie wollte sehr gern ein Heim für gefallene Frauen gründen.
Den Frauen zu helfen, Armut und Prostitution zu entfliehen, konnte durchaus zu ihrer neuen Leidenschaft werden. Ihr eigenes Leben war ihr immer schon recht oberflächlich und leer erschienen; jetzt aber hatte sie die Chance, etwas wirklich Bedeutsames zu tun, das ihr große Erfüllung bescheren könnte.
Auch wenn es die Leere wohl kaum ganz auszufüllen vermochte, die in ihrem Innern herrschte.
Zunächst jedoch stellte sich die Frage, wo sie fortan leben wollte. Sie konnte nicht ewig in der Pension bei Fleur und Chantel bleiben, und nachdem ihre Freundinnen vor O'Rourke sicher waren, bestand überhaupt kein Grund mehr für ihre weitere Anwesenheit.
Nach Danvers Hall zurückzukehren und bei Arabella und Marcus zu leben, war wenig reizvoll, auch wenn sie Lily gewiss mit Freuden aufnähmen. Nur käme sie sich dort furchtbar überflüssig vor und fand, das jungverheiratete Paar verdiente Zeit für sich.
Vielleicht konnte sie zu Tess ziehen, überlegte Lily. Deren hübsches Haus in Chiswick bot reichlich Platz. Und Chiswick lag nicht weit von London entfernt, so dass Lily von dort aus ihre Pläne umsetzen konnte, ein Haus für mittellose Frauen zu gründen. Zudem war das ruhige Landleben am ehesten geeignet, ihr gebrochenes Herz zu heilen.
Endlich hatte sie es sich eingestanden! Ja, ihr Herz war gebrochen, und das nur, weil Heath beabsichtigte, sie nicht mehr in seinem Leben zu wollen.
Wie erbärmlich schwach sie doch war, schalt Lily sich im Geiste. Auf keinen Fall durfte sie sich diesem jämmerlichen Zustand hingeben, um einen Mann zu trauern, der sie nicht wollte. Sie durfte sich nicht nach seiner Freundschaft sehnen, nach seiner Berührung, nach der Freude, die seine Nähe mit sich brachte.
Nein, schwor Lily sich energisch, sie musste sich und ihre lächerlichen Gefühle schnellstens wieder unter Kontrolle bekommen! Was bedeutete, dass sie nicht hierbleiben konnte, wo sie immerfort an Heath erinnert wurde. Sie brauchte einen Neuanfang und etwas, das sie viel zu sehr beschäftigte, als dass sie über ihren Verlust nachgrübeln konnte.
Entschlossen sprang sie auf, verließ den Salon und wollte nach oben gehen, um zu packen. Gleich morgen früh würde sie nach Chiswick abreisen.
Als sie in die Diele kam, traf sie Fleur und Chantel, die von ihrem Einkaufsausflug zurück waren. Obwohl die Kurtisanen sie überreden wollten, ihnen beim Tee mit Lord Poole Gesellschaft zu leisten, lehnte Lily höflich ab. Nach allgemeiner Heiterkeit stand ihr wahrlich nicht der Sinn.
Leider gelang es ihr nicht, beim Packen jeden Gedanken an Heath oder ihr wehes Herz zu verdrängen.
Kurz darauf erschreckte Basil sie, der an ihre offene Tür klopfte und hereinkam.
»Frauen! Ich werde sie nie verstehen! «, rief er aus und warf sich auf den einzigen Stuhl.
»Was ist geschehen?«, fragte Lily, die seine Vehemenz wie auch sein nach wie vor übel zerschundenes Gesicht ein wenig verstörend fand. Die finstere Miene ließ seine Schwellungen und Blutergüsse noch beängstigender wirken.
»Fanny! Sie ist so verdammt uneinsichtig, von sturköpfig und närrisch ganz zu schweigen.«
»Was hat sie denn getan? «, erkundigte Lily sich erstaunt.
»Sie hat mich bei der Arbeit besucht - um nach meinen Verletzungen zu sehen, wie sie vorgab. Aber eigentlich war sie da, um mir zu erklären, was sie vorhatte, ehe ich es von jemand anders erfahre. «
»Was erfahren, Basil? Kannst du bitte mit diesen Andeutungen aufhören, ehe ich dich erwürge?«
Lilys Drohung ließ ihn aufmerken, denn er setzte sich in dem Sessel auf und fuhr sich mit den Händen durchs Haar, als wollte er es sich büschelweise ausreißen.
»Fanny hat sich mit O'Rourke geeinigt, die Anzeige gegen ihn zurückzuziehen, wenn er Lord Poole die dreißigtausend Pfund zurückzahlt und ihr die zehntausend, die sie ihm bereits gab, sowie weitere zwanzigtausend an Fleur und Chantel, damit sie im Alter abgesichert sind.«
Lily sah ihn an und fragte sich, ob sie richtig gehört hatte. »Das heißt, O'Rourke geht nicht ins Gefängnis dafür, dass er sie entführt und gefangen gehalten hat? «
»Ja, genau das heißt es! «, knurrte Basil. »Der Mistkerl wird morgen wieder freigelassen. Claybourne hat es heute veranlasst,
»Er lässt O'Rourke einfach geben? «, wiederholte Lily
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