Sanfter Mond über Usambara
begriffen, ob und wie oft er verheiratet gewesen war. Alles, was sie wusste, war, dass er zwei Brüder und mehrere leibliche Kinder hatte. Tarut Singh ähnelte seinem Vater nur wenig, er war groß gewachsen und sein Gesicht sehr ebenmäßig, der dunkle Bart dicht, aber sorgfältig gepflegt. Doch ihm fehlte die geschmeidige Art seines Vaters, das verbindliche Lächeln und die Fähigkeit, seine Gedanken und Gefühle zu verbergen. Tarut Singh schien ihr direkter und ehrlicher als sein Vater zu sein, vermutlich aber war er ein mindestens ebenso guter Geschäftsmann wie dieser.
Sie bat ihn und seine Begleiter auf die Terrasse, ließ Kaffee, Limonade und einen Imbiss bringen und schickte Schammi hinüber zu Kerefu. Er solle die Pferde und Maultiere vorerst wieder absatteln, sie würde später aufbrechen. Schammi rannte mit flatterndem Gewand davon, um ihren Auftrag auszuführen, danach blieb er verschwunden. Vermutlich plagte ihn noch das schlechte Gewissen wegen der gestohlenen Kuckucksuhr, die er Kamal Singh hatte verkaufen wollen.
» Sie sind im Begriff, eine Reise anzutreten? « , erkundigte sich Tarut Singh. » Dann werde ich mich kurz fassen, um Sie nicht aufzuhalten. «
» Das ist sehr freundlich von Ihnen… «
Ihr war inzwischen klar, weshalb der junge Mann den weiten Weg ins Usambara-Gebirge unternommen hatte, und sie täuschte sich nicht. Tarut Singh kam ohne Umschweife auf die Testamentseröffnung zu sprechen, zu der sie nicht erschienen war. Sein Vater habe sie in seinem Nachlass bedacht, und als treuer Sohn sei er entschlossen, den Willen des Vaters zu ehren. Charlotte lächelte.
» Wenn Sie eine schriftliche Verzichtserklärung von mir haben wollen– die leiste ich gern. Ich habe zwar keine Ahnung, in welcher Weise ich im Testament Ihres Vaters bedacht wurde, aber ich möchte nichts haben, ganz gleich, was es ist. «
» Sind Sie ganz sicher, Frau Johanssen? « , erkundigte er sich und blickte sie durchdringend an. Er hatte die Augen seines Vaters, wenn das Licht schräg einfiel, zeigte sich in ihrer Schwärze ein goldener Glanz. Die gleichen Augen, die auch sie von ihrer Mutter geerbt hatte.
» Ganz sicher, sardar Tarut Singh. «
Er nickte einem seiner Begleiter zu, der jetzt ein Dokument aus der Tasche zog und es vor Charlotte auseinanderfaltete. Aha, es war also alles gut vorbereitet. Sie nahm das Blatt und machte sich daran, den Text gründlich durchzulesen. Er war in zwei Sprachen verfasst, in Englisch und in Sanskrit, und besagte nichts weiter, als dass die Unterzeichnende auf sämtliche im Testament festgeschriebenen Ansprüche verzichtete.
Tarut Singh verfolgte aufmerksam, wie sie das Schriftstück mit dem bereitgehaltenen Füllfederhalter unterschrieb, dann löste sich seine Anspannung, und er lächelte. Überrascht stellte Charlotte fest, dass es ein herzliches Lächeln war.
» Ich danke Ihnen, Frau Johanssen. Denken Sie bitte nicht allzu schlecht von uns– mein Vater hat sehr viele Nachkommen, und es ist nicht einfach, allen gerecht zu werden, ohne die von ihm geschaffenen Geschäftsverbindungen in Gefahr zu bringen. «
» Ich verstehe… «
Das Imperium des Kamal Singh würde seinen Tod nicht überdauern, vermutlich wurde es jetzt unter seinen legitimen und illegitimen Nachkommen aufgeteilt, daran konnte auch ihre Unterschrift nichts ändern. » Da sind allerdings noch einige Kleinigkeiten, die mein Vater ebenfalls für Sie bestimmt hat. Nichts von größerem Wert, aber möglicherweise sind es Andenken, die für Sie eine Bedeutung haben. Es handelt sich um mehrere Möbelstücke… «
» Möbelstücke? « , fragte sie erstaunt. » Nun– ich brauche eigentlich keine Möbel… «
» Sie sind Ihnen vielleicht im Haus meines Vaters in Tanga aufgefallen. Ein Wandschirm mit zwei eingestickten Kranichen. Die kolorierte Zeichnung eines indischen Tempels. Eine Vitrine mit Jagdwaffen. Mein Vater ließ diese Möbel vor etwa zehn Jahren aus Bombay kommen. Sie stammen aus einem Landhaus, das er erworben hatte, um es zu vermieten, auch wenn der Bau anscheinend die ganzen Jahre über leer gestanden hat. «
Wieder spürte Charlotte, wie Unbehagen in ihr aufstieg. Was steckte hinter den Erinnerungen, die sie mit diesen Dingen verband und die so tief in ihrem Innern schlummerten? » Mein Vater war sehr geheimnisvoll, was seine Vergangenheit betraf. Ich weiß nur, dass er Indien seinerzeit nicht freiwillig verließ, er musste fliehen. Aber es war nicht nur das– offenbar hatte es da eine Frau
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