Sanfter Mond über Usambara
waren voll mit ihren Photographien, die er nicht nur entwickelt, sondern auch geordnet und durchnummeriert hatte. Sie war stolz darauf, dieses Mal einen sichtbaren, wichtigen Beitrag zu seinem neuen Buch geleistet zu haben, vielleicht würde sie sogar namentlich erwähnt werden. Auch wenn sie sich keinen Ruhm als Photographin erwerben wollte, ging es ihr doch darum, Georges Schriften zu illustrieren, seine Anliegen zu unterstützen.
» Es ist Zeit, Elisabeth von der Schule abzuholen, Jim. «
Er nickte bereitwillig und lief davon, um sich für den Gang durch die Stadt schön zu machen. Jim war noch eitler als S ch ammi, über den Charlotte oft hatte lächeln müssen, wenn er versuchte, den Mädchen zu gefallen. Doch während Schammi mit seinem schmalen Gesicht und den großen Augen durchaus als schön bezeichnet werden konnte, war der kleine Jim mit einer breiten Nase und abstehenden Ohren geschlagen. Dafür besaß er eine bezaubernde, harmlose Fröhlichkeit, die– so hatte Elisabeth immer wieder erzählt– für viele schwarze Mädchen durchaus anziehend war. Möglicherweise waren ihre eigenen Vorstellungen von » schön « und » hässlich « völlig anders als die der Afrikanerinnen.
Sie nahm einige vorsichtige Schlucke von dem heißen, aromatischen Getränk und stellte die Tasse dann ab, um sich weiter ihrer Arbeit zu widmen. Ihr Rücken schmerzte von derewigen Sitzerei, auf der Plantage war sie den ganzen Tag über in Bewegung gewesen. Aber sie war stur und hoffte, fertig zu sein, wenn George zurückkam. Es konnte nicht mehr lange dauern, sie war schon fast zwei Wochen in Daressalam.
Nachrichten aus Neu-Kronau gab es noch nicht, dazu war die Post zu langsam, aber sie beruhigte sich damit, dass man ein Telegramm geschickt oder angerufen hätte, wenn ein Notfall eingetreten wäre. Dafür hatte sie hier im Haus einen langen Brief von Ettje vorgefunden, der ihr nicht wenig Kummer bereitete. Ettje vermeldete den Tod der Großmutter– Grete Dirksen war mehrere Tage nicht mehr aus ihrem Bett aufgestanden und schließlich sanft entschlafen. Sie hatte das stolze Alter von achtundachtzig Jahren erreicht und ihren Mann, Pastor Henrich Dirksen, um vierzehn Jahre überlebt. Ihr Tod bedeutete das Ende einer langen Herrschaft im Hause Dirksen, die nun an Paul und Antje überging, die dort bei der Großmutter gewohnt hatten. Leider schien es zu heftigen Erbstreitigkeiten gekommen zu sein, an denen vor allem Tante Edine aus Aurich, die noch lebende Tochter des Pastorenehepaars, sowie Cousin Paul teilhatten; Onkel Gerhard in Hamburg war trotz aller Bemühungen nicht aufzufinden undwürde somit auch nichts erben. Viel war sowieso nicht da, es handelte sich im Grunde nur um das Haus, das alte Klavier, ein paar Möbelstücke und die wenigen Spargroschen, welche die Großmutter in einer Zuckerdose aufbewahrt hatte.
Charlotte hatte sich entschieden, Ettjes Klagebrief besser nicht an Klara weiterzuschicken, sondern ihr das traurige Ereignis in ihrem nächsten Schreiben mitzuteilen– Klara musste nicht unbedingt erfahren, dass Paul und Ettje einander inzwischen spinnefeind waren und auch die Kinder in den Streit hineingezogen wurden. Ach, mit dem Tod der alten Frau war eine Ära zu Ende gegangen, das Haus ihrer Kindheit gehörte nun Paul, und Charlotte ahnte, dass weder sie noch Klara dort willkommen waren.
Jim eilte an ihr vorüber zum Tor, geschmückt mit einer sauberen weißen Mütze und einem silbernen Ohrring. Elisabeth hatte sich mit Florence Summerhill, der Tochter eines englischen Geschäftsmannes, angefreundet, der nicht weit von ihnen entfernt wohnte, so dass Jim und der Angestellte des Engländers die Mädchen abwechselnd von der Schule abholten. Florence war zwei Jahre älter als Elisabeth, und es war leider abzusehen, dass sie bald nach England auf ein Internat gehen würde, doch vorläufig waren die beiden Mädchen unzertrennlich und schienen auch in der Schule allerlei Dummheiten gemeinsam auszuhecken.
Charlotte spürte, dass ihre Gedanken abschweiften, trotz des starken Kaffees fiel es ihr immer schwerer, sich auf den Text zu konzentrieren. Es war die Warterei, die sie zermürbte, dieses Herumsitzen, bei dem die Gedanken abschweiften und sie zu den seltsamsten Grübeleien verleiteten. Sie stellte sich vor, er wäre bereits in Morogoro, säße vielleicht schon in der Zentralbahn und diskutierte mit seinen Gefährten über den Erfolg der Impfaktion oder hockte zusammengesunken auf der hölzernen Sitzbank und
Weitere Kostenlose Bücher