Sanfter Mond über Usambara
hinsehen, um den kleinen Gegenstand im matten Sternenschein zu erkennen.
» Der ist… von Ihrem Mann? «
» Ja. Er hat ihn in der Hütte vergessen. Die Frau gab ihn mir, weil sie glaubt, es liege ein Zauber darin. Eine Art magische Kraft, die George herbeiruft. Ist das nicht rührend? «
Er blickte sie kurz von der Seite an. Nie waren ihr seine Augen so groß und glänzend braun erschienen wie hier im Halbdunkel des nächtlichen Urwaldes. Schweigend gingen sie weiter. In der Nähe der Maultiere legte er ein paar Decken zu einem Nachtlager zurecht und streckte sich darauf aus. Vom Dorf her drangen die fröhlichen Stimmen zu ihnen herüber, das rhythmische Stampfen und Klatschen, die schrillen Trillerlaute der Frauen.
Charlotte schlug das Tuch am Zelteingang zur Seite und wollte ihm gerade eine gute Nacht wünschen, als sie ihn leise fragen hörte: » Sie lieben Ihren Mann sehr, nicht wahr? «
Als sie schwieg, fügte er kaum hörbar hinzu: » Dann werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um ihn für Sie zu finden, Charlotte. Das schwöre ich. «
Selbst in den unwegsamsten Gegenden des Usambara-Gebirges war eine Entfernung von dreißig Kilometern während der Trockenperiode an einem einzigen Tag zu schaffen. Vor allem dann, wenn die Reisenden gut beritten und mit einheimischen Führern ausgestattet waren. Hier in Uluguru jedoch schienen andere Gesetze zu herrschen.
Charlotte war ihrer Gewohnheit entsprechend kurz vor Tagesanbruch erwacht und genoss die wenigen, kostbaren Minuten zwischen Nacht und Morgen, den Augenblick der Vorfreude auf den neuen Tag. Der schöne Moment dauerte leider nur wenige Sekunden und wurde sogleich wieder von dem bohrenden Schmerz in ihrer Brust abgelöst. Sie war allein in diesem Zelt, Georges vertrauter, warmer Körper war nicht bei ihr, würde vielleicht nie wieder neben ihr liegen…
Nun vernahm sie Jeremys Stimme, rau und mit hörbarer Ungeduld gab er den Schwarzen Anweisungen, das Gepäck zu richten. Sie überließ es ihm, den Aufbruch zu organisieren– er war der Leiter der Reisegruppe, hatte sich selbst dazu ernannt, und bisher war sie gut damit gefahren. Dennoch war sie bemüht, sich um ihre persönlichen Dinge selbst zu kümmern, so überwachte sie das Zusammenlegen ihres Zeltes und sattelte eigenhändig ihr Maultier.
Nach einem kurzen Frühstück brachen sie auf. Es wurde ein beschwerlicher Tag, der nicht von Erfolg gekrönt war. Stundenlang folgten sie einem schmalen Bergpfad, der sich unterhalb des Grats am Hang entlangwand und mit immer neuen Kehren und Hindernissen überraschte. Der Weg war nur wenige Fuß breit, wer auch immer ihn in den Fels geschlagen hatte, hatte dabei an Fußgänger, nicht aber an Reiter gedacht. Die meiste Zeit mussten sie die Maultiere am Zügel hinter sich herführen. Sie lockten sie über rutschige Stellen, wo Wasserläufe den Pfad überfluteten, zerrten die armen Tiere über Gesteinsspalten hinweg und zwangen sie, unter tief herabhängenden Lianen hindurchzutauchen. Immer wieder verhüllte Nebel ihren Weg, es schien keine einzige Stelle zu geben, die einen Blick über die dichte grüne Hölle erlaubte, damit sie ungefähr einschätzen konnten, wo sie sich befanden. Mehrfach mussten sie den Pfad von losem Gestein freiräumen, das vom Grat heruntergekollert war. Sie gingen vorsichtig und mit viel Bedacht zu Werke, um keine giftigen Insekten oder Schlangen aufzuscheuchen, die unter den Steinen Zuflucht suchten.
Gegen Mittag hatten sich die Nebel gehoben, die üppigen, ineinander verschlungenen Pflanzen und der steinige Pfad zeichneten sich nun hart unter dem mattblauen Himmel ab. Weshalb erschien ihr hier in diesem Gebirge jeder Stein und jeder Fels wie ein finsterer Feind? Es war der gleiche Glimmerschiefer, der auch in den Usambara-Bergen in der Sonne glitzerte und dessen Anblick sie stets mit Begeisterung erfüllt hatte. Hier dagegen fuhr ihr das gleißende Licht wie schmerzhafte Blitze in die Augen.
» Geister wollen Opfer für Durchreise « , sagte einer der beiden Waluguru-Träger, als sie bei einer Kehre rasteten.
» Da haben sie sich umsonst gefreut « , knurrte Jeremy und wischte sich den Schweiß von der Oberlippe.
» Was für ein Opfer? « , wollte Charlotte wissen.
» Silber. Legen unter diese Stein wenige Rupien– dann Weg ist frei, und Geist trägt bibi daktari wie Sturmwind. «
Charlotte blickte in Jeremys unbewegliches Gesicht und staunte, dass er bei dieser ganz offensichtlichen Schwindelei so gelassen bleiben
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