Sanfter Mond über Usambara
Sie « , gab sie aufrichtig zurück.
Dicht vor dem Zaun blieb sie mit den anderen stehen. Die drei Maultiere hielten sie an den Zügeln, damit sie im Notfall rasch bestiegen werden konnten.
Charlotte merkte, wie ihre Anspannung zunahm. Würden sie in diesem Dorf Spuren von George finden, womöglich sogar Hinweise auf seinen Verbleib? Doch was, wenn er tatsächlich an Pocken erkrankt war? Konnte sich ein Pockenkranker durch das Gebirge schleppen? Vor Aufregung wurde ihr schwindelig. Sie machte die Augen zu. Rötlich durchfloss das Licht ihre geschlossenen Lider, fügte sich zu zarten Wirbeln, zu den Schwingen der Morgenröte, einem Heer rötlicher Wolkenfetzen. Sie spürte, wie sich alles um sie herum drehte, die kreisenden Wirbel berührten sacht ihre Wangen, angenehm kühl, wie ein Streicheln fast, eine Berührung gleich einem Kuss…
Ein Schrei zerriss ihre beginnende Ohnmacht. Der schrille Angstruf einer Frau.
Sie öffnete die Augen und hielt sich am Sattelgriff fest, um nicht vom Maultier zu stürzen.
Heiseres Kreischen. Keuchen. Wütendes Zischen. Wieder ein Schrei. Dieses Mal eher ein Heulen.
» Mpepo. Böse Zauberin. Mpepo! «
Was um Himmels willen trieb Jeremy dort im Dorf? Sie richtete sich im Sattel auf und versuchte, zwischen den Hütten etwas zu erkennen. Rötlicher Staub wirbelte dort auf, in dem sich dunkle Gestalten bewegten, und jetzt vernahm sie auch die Rufe der Waluguru-Männer und dazwischen Jeremys energische Befehle.
» Tut ihr nicht weh! Sagt ihr, wir wollen sie fragen, sonst nichts. Verdammt– hast du nicht gehört? Du sollst sie nicht schlagen! «
» Herr Jesus– beschütze uns « , murmelte Johannes Kigobo, der Jeremys Maultier am Halfter hielt. » Haben eine Zauberin gefangen. Wir alle viel beten gegen bösen Zauber von mpepo. «
» Eine… Zauberin? «
Angstvoll starrten die Schwarzen zu dem verlassenen Dorf hinüber. Frauen waren bei ihnen wenig geachtet, sie verrichteten die Feldarbeit, kümmerten sich um die Kinder und bedienten ihre Männer. Eine mpepo jedoch, eine Zauberin, konnte den stärksten Krieger zum Zittern bringen, denn anders als ein Medizinmann war eine mpepo unberechenbar. Sie konnte helfen, aber auch zerstören. Wenn sie gut gelaunt war, heilte sie Krankheiten, wenn sie wütend wurde, dann kannte sie Mittel, die einem unweigerlich den Tod brachten.
Inzwischen konnten Charlotte und ihre Waschamba die vier Personen gut erkennen, die sich– von rötlichem Staub umwölkt– schon fast bei der Hecke befanden. Die beiden Waluguru schienen aus irgendeinem Grund wenig Angst vor der mpepo zu haben, sie hatten die Frau bei den Handgelenken gefasst und zerrten sie den Hügel hinab. Die angebliche Zauberin war bis auf einen grauen Jutefetzen um die Hüften vollkommen nackt, ihre langen, trockenen Brüste hingen wie leere Taschen bis zum Nabel herab. Nie zuvor– nicht einmal nach dem maji-maji -Aufstand– hatte Charlotte einen derart ausgemergelten Körper gesehen, anscheinend hatten die Eingeborenen diese alte Frau zurückgelassen und sie so dem sicheren Hungertod preisgegeben. Weshalb, war schwer zu sagen. Vielleicht hatte sie keine Angehörigen, und niemand wollte sich mit ihr belasten.
Jeremy ging hinter der Dreiergruppe her, das Gewehr im Anschlag, die Miene vor Abscheu verzogen.
» Wir haben die Alte dort oben gefunden, aber sie wollte nicht mit uns kommen. «
» Weshalb müsst ihr sie quälen? Wir hätten sie auch in ihrer Hütte befragen können « , schimpfte Charlotte.
» Sie hat keine Hütte. Saß einfach nur auf dem Boden und fing an zu schreien, als sie uns sah. «
Alle Übelkeit und auch das Schwindelgefühl waren mit einem Schlag verschwunden, Charlotte sah voller Mitleid auf die Alte herab und verspürte zugleich ein wenig Hoffnung. Vielleicht wusste diese Frau etwas, das ihnen helfen konnte.
» Lasst sie los und gebt ihr zu trinken « , ordnete Jeremy an. » Aber passt auf, dass sie nicht abhaut. «
Diese Sorge war unbegründet. Als die Waluguru ihre Handgelenke freigaben, sackte die Frau zu Boden und kauerte sich dort zusammen. Ein keuchendes, hastig atmendes Bündel Mensch, jämmerlich, knochig, die Arme und Beine unfassbar dünn. Nur in den riesigen Augen, die sie nun auf ihre Peiniger richtete, schien noch Leben zu sein.
» Vielleicht sie doch keine mpepo? « , murmelte Jonas Sabuni verwirrt. » Nur altes Weib, das gehört zu niemand. «
Sie schien nicht zu begreifen, dass die ihr zugeworfene Kalebasse für sie sein sollte. Der Behälter
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