Sanfter Mond über Usambara

Usambara-Gebirges. Eine großartige Gegend, liebe Frau Johanssen. Manche behaupten, Usambara ähnele dem Schwarzwald, aber das ist völliger Unsinn. Es ist eine ganz eigene, wildromantische Landschaft mit dichtem Urwald und schroffen Felsabhängen. An manchen Stellen geht es über tausend Meter in die Tiefe… «
    Draußen auf dem Bahnsteig gellte ein lauter Pfiff, aufgebrachte, zornige Rufe ertönten. Der schwarze Bahnangestellte schimpfte wie ein Rohrspatz, weil ein verspäteter Reisender kurzerhand noch aufgesprungen war. Dann wehten dichte Dampfwolken über den Bahnsteig, und das strohgedeckte Lagergebäude, die Frauen mit ihren Lebensmittelkörben und sogar der rot uniformierte Bahnangestellte mit der weißen Schirmmütze verschwanden im Dunst. Der Zug ruckelte ein paarmal kräftig beim Anfahren, Gepäckstücke fielen um, eine wollhaarige Afrikanerin kreischte auf, weil ihr ein Korb voller Hühnerküken vom Schoß gerutscht war. Alle Passagiere bückten sich eifrig und angelten mit den Händen nach den piepsenden Ausreißern, ein paar schwarze Kinder krochen auf allen vieren herum und verfolgten die flauschigen Küken, die zwischen die Beine der Reisenden flüchteten. Es wurde geschimpft und gelacht, die Besitzerin der Küken hatte sich allerlei Witze und heitere Ratschläge anzuhören, doch als sie all die gelben Federbällchen endlich wieder in ihrem Korb hatte, war sie selbst es, die am meisten über ihr Missgeschick lachte.
    Elisabeth gelang es, fünf Küken zu erwischen, wobei sie sich etliche dunkle Flecken auf ihrem hellen Kleid einhandelte und mit zwei schwarzen Kindern Bekanntschaft schloss. Sie sprachen zwar nur wenige Worte Suaheli, aber die Verständigung klappte dennoch ohne Schwierigkeiten. Es dauerte nicht lange, da hockten alle drei auf dem Boden, wiegten sich sanft im Rhythmus des Zuges und aßen Erdnüsse, die Elisabeth großzügig austeilte.
    » Nehmen Sie es mir nicht übel « , flüsterte Ingenieur Meier Charlotte zu. » Aber es ist nicht gut, allzu vertrauten Umgang mit den Schwarzen zu pflegen. Das kann leicht dazu führen, dass sie den Respekt verlieren. Sie werden das schon noch lernen, wenn Sie längere Zeit im Land sind. «
    » Gewiss « , gab George schmunzelnd zurück. » Wer mit offenen Augen und Ohren in ein fremdes Land geht, der kommt aus dem Lernen nicht mehr heraus. Ist es nicht so? «
    Horst Meier nickte begeistert. Ja, er sei inzwischen schon ein ganzes Jahr in Afrika, zuerst an der Küste in Daressalam und nun schon eine ganze Weile in Neu-Hornum. Afrika biete für einen Techniker ganz großartige Möglichkeiten, weil man völlig neu planen und denken müsse. Holz zum Beispiel sei für den Bau einer Seilbahn völlig ungeeignet, es werde in null Komma nichts von den Termiten gefressen. Deshalb müsse jede Schraube, jeder Träger, jede Verstrebung aus gutem Stahl sein und aus dem Mutterland importiert werden.
    Peter Siegel beteiligte sich nicht an dem Gespräch. Man hatte ihm den Fensterplatz eingeräumt, dort saß er, den Ellenbogen auf die Fensterbank gestützt, und starrte auf die vorüberziehende Landschaft. Sisalpflanzungen waren zu sehen, ausgedehnte Flächen voller bläulich grauer Agaven, die ihre fleischigen Blätter wie Schwerter emporreckten. Dazwischen tauchten einzelne Wohnhäuser im Kolonialstil mit roten Dächern auf, Kokoshaine, kleinere Felder, auf denen Mais, Bohnen und Bananen wuchsen, außerdem die strohgedeckten, runden Hütten der Eingeborenen, umgeben von Palmen und schlankem Zuckerrohr. Manchmal gab der dichte Mangrovenwald den Blick auf den Pangani-Fluss frei, der silbern aufblitzte, wenn Sonnenstrahlen darauf fielen. Jetzt allerdings standen dunkle Wolken am Himmel, und das Wasser des breiten Flusses erschien bräunlich.
    » Gut, dass wir im Zug sitzen « , bemerkte Horst Meier. » Es scheint wieder mal einen Guss zu geben. Diese Regenzeiten sind schon lästig, besonders für die Verkehrsverbindungen, die Wege sind dann kaum noch passierbar. Einige Plantagenfirmen haben angefangen, Stichbahnen zu bauen, eine gute Sache. Aber wenn erst die Seilbahn in Betrieb ist, dann können wir… «
    Ein heftiger Donner krachte über ihnen, als sei in den Wolken ein Felsblock zerborsten. Einige Zuginsassen, die bei dem gleichmäßigen Rattern sanft eingenickt waren, fuhren erschrocken auf und schauten aus dem Fenster. Die ersten Tropfen fielen auf das Wagendach, hinten im Waggon entbrannte ein Streit, ob man die Fenster schließen oder offen lassen sollte. Gleich