Sanfter Mond über Usambara
mitten im Satz inne und betrachtete ihre Mutter eindringlich.
» Hast du geweint, Mama? «
» Wie kommst du denn darauf? Mir ist etwas in die Augen geraten, es ist momentan fürchterlich staubig auf dem Hof. «
» Ist das ein Brief von George? Darf ich ihn lesen? «
» Ja… später. «
Neben dem Eingang zerrte eine schwarze Angestellte an einem Glockenseil, ein schrilles, ohrenbetäubendes Läuten ertönte.
» Es gibt Mittagessen, Mama. Kommst du? «
» Gleich, mein Schatz. Geh schon mal vor, ja? «
Elisabeth nickte. Sie hatte die blonden Brauen zusammengezogen und schien verstimmt.
» Wenn der Brief von George traurig ist, will ich ihn lieber nicht lesen « , stellte sie klar und lief hinaus. Charlotte schloss die Tür hinter ihr.
Das Missionshaus füllte sich mit Leben, fröhliches Gelächter und Satzfetzen in der Sprache der Waschamba glitten an ihrer Tür vorüber– aus allen Richtungen strömten die Menschen zur Mittagsmahlzeit zusammen.
Hastig überflog sie Georges Zeilen, doch weitere Liebesgeständnisse fand sie nicht. In gewohnt ironischer Weise beschrieb ihr Mann die Fahrt über den Viktoria-See mit der englischen Yacht Sibyl und mokierte sich über den festlichen Empfang im Palast des Gouverneurs von Entebbe, der Hauptstadt Ugandas. Man habe die deutschen Gäste mit Whisky und Gin förmlich überschwemmt, was natürlich nicht ohne Folgen blieb– so gab es einige Patienten unter den Expeditionsteilnehmern, als sie am folgenden Morgen bei einem schweren Gewitterschauer die Anker lichteten. Die Yacht brauchte einen ganzen Tag von Entebbe bis Bukoba, erst in der Abenddämmerung schob sich das Schiff an der Toteninsel vorbei in die Hafeneinfahrt der deutschen Kolonialstadt. Küste und Insel waren durch ein bengalisches Feuerwerk in ein seltsam flackerndes Schattenspiel verwandelt. » Gespenstergleich « , habe der Herzog gemurmelt. Er sei ein leutseliger Mensch, ganz und gar dem Soldatischen verpflichtet, jedoch mit einer geradezu blauäugig romantischen Seite geschlagen. Es sei unfassbar, welcher Aufwand beim Empfang eines Herzogs von Mecklenburg getrieben wurde, allein in Bukoba seien an die siebentausend Menschen angetreten, allen voran die schwarzen Großsultane mit ihren Truppen, dann aber auch die für die Expedition angeworbenen Leute und nicht zuletzt die Askari der siebenten Kompanie der deutschen Schutztruppen. Der Herzog habe diesen Aufmarsch einen » stolzen Gruß deutscher Machtentfaltung « genannt, besonders habe ihn gefreut, dass die englischen Offiziere und die Besatzung der Sybil davon sehr beeindruckt waren.
Du weißt ja, dass ich solche Machtdemonstrationen aus tiefstem Herzen verachte, und zum Glück sind auch andere Mitglieder der Expedition dieser Meinung. Morgen also ist damit endgültig Schluss, wir werden uns auf unbekannten Pfaden bewegen und Menschen treffen, die den erlauchten Namen unseres Herzogs noch nie zuvor vernommen haben. Ich fiebere dem Aufbruch entgegen und fürchte sehr, heute Nacht wenig Schlaf zu finden. Wenn Du dieses Schr eibe n bekommst, meine süße Frau, werden wir schon weit ins Gebirge des…
Dieses Mal wurde ihre Tür leise aufgezogen, dennoch sah sie ärgerlich von ihrer Lektüre auf.
» Charlotte « , flüsterte Klara. » Bitte hilf mir– ich weiß mir keinen Rat mehr. «
Erschrocken warf Charlotte den Brief auf ihr Bett. Klaras Züge waren entsetzlich blass, die angstweit geöffneten Augen flackerten. Sie sah aus, als sei ihr ein Gespenst begegnet.
» Was… was ist los? «
» Komm. «
Die Mittagsmahlzeit unten in der kleinen Halle hatte noch nicht begonnen, man hörte Missionar Becker mit heller Stimme ein Gebet sprechen, danach hatten alle noch ein Lied zu singen, bevor sie endlich essen durften. Klara hatte Charlottes Hand gefasst und zog sie an der halb geöffneten Tür der Halle vorbei zur Treppe.
» Ist etwa Sammi krank geworden? «
» Sei leise, Charlotte, ich flehe dich an. Nein, Sammi geht es gut. Es ist… ich kann es dir nicht sagen. Niemand soll es wissen, er hat mir verboten, davon zu sprechen. Aber nunweiß ich nicht mehr, was ich tun soll. Ich habe solche Angst, Charlotte. Nicht einmal damals, als wir ganz allein im Urwald zurückblieben, habe ich mich so schrecklich gefürchtet… «
Sie konnte nicht aufhören zu reden, flüsterte die Worte vor sich hin, ohne Charlotte dabei anzusehen, doch ihre kalten Finger umklammerten das Handgelenk der Cousine in größter Verzweiflung. Vor der Kammer, die sie mit Mann und Kind
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