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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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auch nicht«, sagte der Mann, als hätte ihn Sascha jetzt gerade danach gefragt.
    Er ging nochmals in die Küche, brachte ein Literglas Marmelade mit einem großen Löffel, und ging wieder hinaus.
    Eine Minute später öffnete er die Tür – er schaute unter einer Mütze hervor, mit zugeknöpfter Wattejacke und in warmen Hosen, sagte: »Ich gehe die Hausfrau abholen, sonst bleibt sie bis zur Nacht sitzen.«
    Sascha wollte sagen, er solle sich doch keine Mühe machen, wozu denn, aber die Tür war schon wieder zu.
    Sie begannen den Tee zu trinken.
    Sie schauten sich schließlich im Zimmerchen um. Es war mit alten, festen Tapeten beklebt, die Ikone im Winkel, ein strapazierter Teppich an der Wand, in der Ecke die Kommode. Eine weiße Tür in ein anderes Zimmer, aus dem plötzlich Lärm drang, ein Bett knirschte und jemand stand ächzend auf.
    Die Tür ging auf, ein Großväterchen tauchte auf, klein, mit zerzausten weißen Haaren und dem Gesicht eines Kindes, das gleich zu weinen beginnt.
    »Ein regelrechter Waldgeist«, dachte Sascha.
    »Vermutlich der Vater der Hausherrin, der Kerl da, der uns aufgemacht hat, ist zu gesund, um der Sohn eines solchen Opas zu sein«, dachte er noch.
    »Wir hatten schon lange keine Delegation mehr«, sagte der Großvater. »Früher kam es vor, dass sie jede Woche dreimal kamen, von November bis Mai. Mittlerweile liegen die Alten schon alle unter der Erde – hier ist keiner mehr, den man besuchen könnte.«
    Sascha ahnte mittlerweile, dass Reisende, deren Autos in Schnee und Schlamm steckengeblieben waren, in diesem Haus keine Seltenheit waren.
    Der Großvater blieb noch ein wenig bei ihnen stehen und krächzte dann auf die Straße hinaus. Man konnte hören, dass er lange nach seiner Wattejacke suchte, etwas zischelte, vor sich hin schimpfte, allerdings nicht böse.
    »Wo ist hier die Toilette?«, fragte Werotschka leise.
    »Geh, der Opa zeigt es dir«, ließ endlich auch Wenja von sich hören. Er verfügte über die beachtliche Fähigkeit, jede noch so große Dummheit auf nicht beleidigende Weise auszusprechen, selbst Werotschka lächelte jetzt.
    »Nein, im Ernst, Sascha?«
    »Im Ernst, Wera. Im Hof. Gehst du?«
    Werotschka schüttelte den Kopf.
    Sie aßen Himbeermarmelade, der Reihe nach und alle mit demselben Löffel. Wenja hatte die Füße auf die Heizung gelegt und brummte zufrieden. Werotschka war seinem Beispiel gefolgt, lehnte sich an Saschas Rücken, warf die Beine über die abgewetzten Armlehnen des Diwans und steckte die Füße zwischen Ofen und Wand.
    Es war ihnen schon ein wenig wärmer geworden.
    Die Tür zur Straße knarrte, Werotschka zuckte zusammen, sie wollte ihre frivole Haltung ändern, Sascha beschwichtigte sie aber: »Bleib sitzen, bleib sitzen, das ist der Opa. Ihm ist egal, wie du sitzt.«
    »Ihr seid aber ziemlich viele«, sagte Opa als er hereinkam, und zwar in einem Tonfall, als wäre er nie hinausgegangen. »Ha? Meine Lieben! Schaut aus, als würdet ihr irgendwohin davonlaufen, statt zu den Gräbern zu fahren. Ich warte schon die ganze Zeit darauf, dass ihr alle in die Dörfer flüchtet, das ganze Stadtvolk – der Augenblick rückt schon näher. Brennt dort noch nichts, in der Stadt? Es wird bald zu brennen beginnen.«
    Er setzte sich auf den Stuhl in der Ecke, direkt neben der Tür, sah alle mit abwechselnd fröhlichen und zum Weinen bereiten Augen an – es war nicht genau zu verstehen, noch dazu leuchtete die Lampe kaum.
    »Gott hat sich ja schon ganz zu uns herabgelassen, er schaut uns direkt ins Gesicht, aber wir sehen ihn immer noch nicht. Früher war das so – wenn jemand im Dorf sündigte, dachte Gott lange nach, Jahr über Jahr, ob er eine Strafe verhängen soll oder nicht. Manchmal hat er die Strafe für die Kinder des Sünders aufgehoben. Er wartete bis zum Tod des Sünders, auf dass der sich bessert. So war es: solange es Glaube in den Menschen gab. Jetzt muss der Herr immer gleich strafen: So wie früher der Vater die jungen Rotznasen mit dem Löffel schlug, wenn sie vor den Älteren nach den Kartoffeln in den Eisentopf langten, so macht Gott es jetzt auch. Der Herr ist ungeduldig geworden: Das muss man wissen – müde von uns. Er gibt einmal ein Zeichen, dann stellt er – zwei – einen Pflock hin, beim dritten Mal – die Deichsel ins Rückgrat, bis sie in Stücke bricht …! Habt ihr das verstanden, meine Lieben?« Der Alte schaute die Versammlung der Reihe nach an. »War auf eurem Weg kein Pflock zu sehen?«
    Matwej schaute den

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