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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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ermordet. Ihm wurden zahlreiche Stichverletzungen zugefügt, die zum Tode führten. Unsere Korrespondenten teilen mit, dass im Laufe der letzten anderthalb Tage in mehreren Regionen Russlands Unbekannte eine Reihe von Anschlägen auf Kommissare der Partei ›Sojus sosidajuschtschich‹ verübt hatten. Einige Parteimitglieder befinden sich zurzeit mit Verletzungen verschiedenen Grades im Krankenhaus … Wir erinnern daran, dass am Donnerstag bei der Eröffnung eines neuen Theatergebäudes eine der Anführerinnen der Partei ›Sojus sosidajuschtschich‹, Jana Scharonowa, einen barbarischen Anschlag gegen das Staatsoberhaupt verübt hatte …«
    Es lief das schon bekannte Video, Sascha sah abermals Jana – ihre Haare waren glatt frisiert, das machte ihr Gesicht besonders fein und schutzlos … Dann erschien die Sprecherin, erklärte lächelnd, dies sei die letzte Sendung ihres Nachrichtenprogrammes gewesen und sie bedanke sich bei allen, die all die Jahre mit dabei waren.
    Eine Minute lang schwiegen alle.
    Sascha ging auf die Straße hinaus, blieb im leisen Schneefall stehen.
    Nach ihm tauchte Matwej auf.
    »Wie beleidigt sie sind wegen der angepissten Fresse …«, sagte Sascha.
    Matwej antwortete nicht. Er bat um eine Zigarette.
    Als er den Rauch einsog, zog er die Wangen mit den harten Borsten zusammen – die schönen und deutlichen Wangenknochen, spitz und knöchern, traten hervor. Der Adamsapfel bewegte sich, als wollte Matwej etwas hinunterschlucken, etwas das lebte und nach außen drängte.
    »Fahren wir zurück, Sasch.«
    Der Hausherr führte ein Pferd mit verschreckten Augen heraus.
    »Wir haben unseren eigenen Traktor. Kein Schnee macht dem was«, sagte er düster.
    Als sie am Haus vorbeifuhren, in dem sie die Nacht verbracht hatten, verlangsamte Oleg das Tempo – er wollte wohl dem Opa winken oder hupen, aber Opa war nicht herausgekommen und schaute auch nicht zum Fenster hinaus.
    »Oje, ich hab vergessen, die Socken zu wechseln«, sagte Wenja. »Bin in den Wollsocken gefahren …«
    Niemand gab eine Antwort.
    »Behalt sie halt an«, sagte Oleg eine halbe Minute später. Ihm gefiel das allgemeine Schweigen nicht.
    Matwej drehte sich nervös zu Wenja um. Er durchbohrte ihn mit seinem Blick.
    »Scheiße, glaubst du, mir tuts nicht leid um die Jungs, Matwej?«, wand sich Wenja. »Sie tun mir leid. Und was jetzt? Bis zum eigenen Tod heulen? Wenn ich angekommen bin, bring ich jemanden um.«
    Sie schwiegen weitere drei Minuten.
    »Sie haben sich an uns gerächt«, begann Matwej zu sprechen. »Und werden sich wohl noch weiter rächen. Das bedeutet, wir brauchen nicht mehr zu warten. Kostenko sagte, wir müssen genau dann beginnen, wenn nichts mehr zu erwarten ist.«
    Jetzt schwiegen sie alle schon anders: Sie warteten gespannt, was Matwej sagen würde.
    »Wir haben Abteilungen in den vierzig größten Städten. Wir können alle Verwaltungen in einem Tag einnehmen.«
    »Und was dann?«, fragte Wenja fröhlich.
    »Dann sehen wir weiter.«
    Matwej dachte nach, blinzelte und verfolgte die Bewegung der Scheibenwischer.
    »Was wir in Moskau machen, das weiß ich. Aber werdet ihr hier alleine klarkommen, Sasch?«
    »Wir werden klarkommen«, antwortete Sascha bestimmt, obwohl er noch nichts Genaues wusste.
    »Ihr habt es einfacher«, fuhr Matwej ruhig fort. »Wir wollten das alle. Wir haben darauf gewartet. Das heißt, wir müssen es tun. Jetzt. Sonst ist alles vorbei.«
    »Du tust, als müsstest du jemand überreden, Matwej. Als wäre irgendwer dagegen«, sagte Wenja.
    »Und du versäufst überhaupt alles! Verschläfst und versäufst alles!«, schimpfte Matwej, der sich wieder zornig umgedreht hatte.
    »Und ich bleibe da«, keifte Wenja zurück.
    »Dann bleib da.«
    Abermals schwiegen alle. Dieses Mal dachten sie darüber nach, was Matwej gesagt hatte.
    »Ihr habt wahrscheinlich schreckliche Angst vor dem Tod«, sagte Werotschka plötzlich mit böser, den Tränen naher Stimme. »Es ist gestorben, euer Russland, das ist doch allen Leuten mit einem bisschen Verstand klar. Warum könnt ihr davon nicht ablassen? Wisst ihr denn nicht, dass manchmal alles stirbt? Menschen, Hunde, Ratten – sie sterben! Sie sterben!«
    »Ich schmeiß dich gleich aus dem Auto«, sagte Sascha ruhig.
    Werotschka begann leise zu weinen. Sie zog sich ganz zusammen, streichelte über ihre kleinen Knie und biss sich auf ihre schmalen Lippen. Sascha wollte ihr den Kopf einschlagen.
    »Ich weiß, was jetzt alles zu tun ist«, sagte Oleg, so, als

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