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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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Du verkühlst dich sonst, San!«
    Sascha reagierte nicht. Er machte auch noch die Jacke auf.
    Es begann zu dämmern.
    Die Mutter bat mehrmals, ihr den Platz zu überlassen – sie wollte einen der Männer ablösen. Sie gaben ihr keine Antwort.
    Sie gingen langsam, atmeten schwer. Sie wurden immer langsamer und atmeten immer schwerer. Sie spuckten lange aus.
    Von Zeit zu Zeit wechselten sie den Platz – wenn die Schulter, mit der sie zogen, zu schwach geworden war.
    Schließlich drehten sie den Sarg mit dem schmalen Ende doch nach vorne – allerdings grub er sich so schneller in den Schnee. Sie mussten das Seil erneut befestigen.
    Abermals setzte leiser, leichter Schneefall ein. Die vorabendliche Kälte setzte Wangen und Stirn zu. Die Ohren fühlten sich taub an, vereist.
    Die langen Zweige der Bäume, die sich über den Weg ausstreckten und von Weitem sichtbar waren, schaukelten wild. Man hätte sie am liebsten mit den Zähnen gefasst.
    Sascha wurde auf einmal speiübel und frostig, als würde jemand mit kaltem, rostigem Mund in die Innereien hineinatmen.
    »Mam, wirf die Mütze her!«, bat Sascha.
    Sie zottelte hinterher, still. Sie fuhr zusammen, warf die Mütze.
    Die Bäume begannen schwarz zu werden.
    »Gut schauen wir vermutlich aus, hier, mitten im Wald … Mit dem Sarg …«, dachte Sascha.
    »Ein echt russisches Begräbnis …«, sagte Besletow plötzlich, und meinte damit dasselbe, was auch Sascha in den Sinn gekommen war. »Ein russisches Geleit …«, korrigierte Besletow das letzte Wort und atmete schwer.
    Sie schwiegen fast den ganzen Weg über, manchmal vergaß Sascha sogar, dass er neben ihm war, dieser Mensch. Ja, und Kraft zum Sprechen hatte er auch keine.
    Während der Himmel aufklarte, versuchte Sascha jene Plätze wiederzuerkennen, die ihm seit der Kindheit in Erinnerung geblieben waren. Im Winter ist es schwierig, sommerliche Lichtungen und Rastplätze zu erkennen, bisweilen gelang es. Nichts besonderes – dort, offenbar dort … ja, dort, waren sie einmal stehengeblieben: Sie waren mit Onkel Kolja im Auto gefahren, und Mama, die noch jung war, ging mit einem wunderbaren Lächeln und sehr glücklichen Augen in den Wald und kehrte bald mit Pilzen zurück – sie fand sie mühelos, hatte aber vor Nattern unglaubliche Angst … Die Männer hatten inzwischen geraucht.
    »Ach ja, Galenka«, hatte Onkel Kolja gesagt. »Was für eine Frau!« Und er sah dabei die Mutter irgendwie besonders an.
    Erst jetzt verstand Sascha, dass der Onkel in Mama verliebt gewesen war. Noch etwas kam sofort in den Sinn, eine Szene am Strand … Vergessen. Sascha war damals etwa sechs Jahre alt.
    Und irgendwo hier … sie kamen von irgendwo her … »Warum wir hier gingen, weiß ich nicht mehr …« Sascha war damals müde geworden. Der Vater trug ihn auf den Schultern. Setzte ihn rauf und trug ihn. Sascha gefiel, dass es so hoch war. Nur die Zweige konnte er nicht erreichen, weil der Vater in der Mitte des Weges ging. »Warum sind wir eigentlich zu Fuß gegangen? Und sind wir bald angekommen? Ich kann mich – zum Teufel – an nichts erinnern …«
    Und Sascha trottete wieder mit leerem Kopf, versuchte manchmal, mit seinem Atem die Hände zu wärmen, die gleichzeitig brannten und erfroren waren. Es half nicht.
    Es wurde dunkel, und es gab nichts, woran man sich mit seinen Gedanken festhalten konnte.
    Bisweilen begann Besletow heftig, fast kreischend, zu husten.
    »Jungs, vielleicht wollt ihr was essen?«, fragte die Mutter.
    »Dieser Husten hat Mutter aus ihrer finsteren Schwermut aufgeschreckt«, vermutete Sascha.
    »Nicht nötig«, antwortete er auf die Frage.
    »Nein, es ist nötig«, sagte Besletow schwach, und schnaubte: »Ich kann nicht mehr.«
    Die Mutter fuchtelte ungeschickt mit der Tasche herum, sie wusste nicht, wo sie sie hinstellen sollte.
    »Stell sie halt auf den Sarg«, sagte Sascha. »Der Vater wird nicht beleidigt sein.«
    Sascha setzte sich an den Sarg und begann plötzlich zu sabbern.
    »Gleich kotz’ ich …«, dachte er befremdet. Er stand auf.
    Die Hände zitterten leicht. Die Tränen an den Augen begannen anzufrieren.
    Sascha zündete eine Zigarette an und sah im Schein des Feuerzeugs, dass Besletow ganz bleich war.
    »Und wenn sein Herz Zicken macht …?«
    Die Mutter hatte es auch bemerkt.
    »Aleksej Konstantinowitsch! Wollen Sie vielleicht eine Tablette?«
    Besletow schüttelte schwach den Kopf.
    Die Mutter gab ihm ein Sandwich, er begann matt zu kauen.
    »Der Tee ist wahrscheinlich

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