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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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sich hinter den geschlossenen Lidern unwohl. Sie wollten sich öffnen und schauen.
    Sascha streckte den Kopf unter der Decke hervor und sah die im Halbdunkel verschwimmende, von vielfachen Berührungen bräunlich gewordene Tapete. Ihr Muster war kaum mehr zu erkennen.
    Darüber nachzudenken, was heute bevorstand, darauf hatte er nicht die geringste Lust.
    Sich daran zu erinnern, was gestern geschehen war, auch nicht.
    Sascha erinnerte sich, wie laut und wie betrunken er gewesen war, und verzog angewidert das Gesicht.
    »Was für einer bin ich denn?«, dachte Sascha plötzlich.
    Wer und was für einer? Ein Verrückter? Ein Guter? Ein Zuverlässiger? Ein Unzuverlässiger?
    Es gab keinen Spiegel, in dem er sich hätte sehen können. Es war, als wäre jemand mit den Stiefeln auf diesen Spiegel getreten und hätte ihn zertrümmert. Strengte man sich aber an, sich in den Splittern zu finden, waren nur unverständliche Züge zu sehen, aus denen kein ganzes Gesicht zusammengesetzt werden konnte.
    Sascha quälte sich nie bis zur Selbstzerfleischung.
    Selten erlebte er etwas besonders tief und schmerzhaft. Nur das, was lohnte, durchlitten zu werden. Der Vater, ja.
    Er hatte in seinem Leben keine einzige offensichtliche Niederträchtigkeit begangen. Und auch keine heimliche …
    Auch keine einzige Erniedrigung hatte er erleben müssen, außer den üblichen blödsinnigen Kindereien, zum Beispiel dass ihm Klassenältere Geld abnahmen.
    Als er – unter Aufsicht eines offenbar betrunkenen Offiziers – mit der ganzen Kompanie für eine der üblichen Schwachsinnigkeiten auf allen vieren über den Platz gerobbt war, auch da empfand Sascha eher Gleichgültigkeit. Das war ein Spiel mit sehr ernsten Regeln. Er hatte sie sofort akzeptiert. Der Armeedienst fiel ihm beinahe leicht.
    Es fanden sich immer Freunde. Es hatte immer Mädchen. Verschwand eine Freundin, tauchte irgendwoher ein neue auf. Jedes Mal zufällig. Sascha suchte sie nicht. Obwohl er gar nicht schön war, nein.
    Sascha klaubte sich zusammen, mischte die Splitter des Spiegels durcheinander. Es gab praktisch nichts, worüber er hätte verblüfft sein können, oder worüber er sich hätte aufregen müssen. Nein, nichts.
    Seitdem er erwachsener geworden war, im Alter des Militärdienstes, war alles klar geworden. Unlösbare Fragen tauchten nicht mehr auf. Es gibt einen Gott. Ohne Vater ist es schlecht. Die Mutter ist gut und teuer. Es gibt nur eine Heimat.
    »Die Wolga fließt ins Kaspische Meer …«, scherzte Sascha über sich selbst, konnte darüber aber nicht einmal für sich lachen. Ja, sie fließt.
    Jede seiner Handlungen war durch eindeutige Umstände provoziert worden.
    Erstaunlich war höchstens, dass andere sich nicht genauso verhielten.
    Zu den »Sojusniki« war Sascha ganz einfach gekommen, denn alles andere hatte zu dieser Zeit jegliche Bedeutung verloren.
    »Man muss arbeiten …«, sagte man ihm manchmal angewidert. »Ich arbeite …«, antwortete Sascha. Er arbeitete wirklich – manchmal schleppte er Lasten, manchmal lud er aus … einmal in der Fabrik … er bewachte, er fegte. Alles mit gutem Gewissen. Aber ging es etwa darum?
    Er wollte mit niemandem mehr streiten, das hatte schon keinen Sinn mehr. Er stritt nur, wenn er neue, andere Argumente hören wollte. Allerdings passte keine der Argumentationen.
    Dieser widerwärtige, unehrliche und dumme Staat, der die Schwachen vernichtete, den Niederträchtigen und Unverschämten die Freiheit gab – warum hätte man ihn ertragen sollen? Wozu sollte man in ihm leben, der sich selbst und jeden seiner Bürger in jedem Moment verriet?
    Sascha ärgerte sich nach wie vor nicht, er empfand keinerlei Groll, er machte nur einfach das, was er für notwendig hielt.
    Über die Errungenschaften der Staatsmacht dachte er nie ernsthaft nach, die Macht interessierte ihn nicht, er wusste gar nicht, was er mit ihr anfangen sollte. Sein Verhältnis zu Geld war einfach: Er gab es aus, wenn er es hatte.
    Und trotzdem: Wer war er? Was für einer war er – Sascha? Es gab da immer etwas, das im Gesicht nicht abzulesen war, was nicht zum Ausdruck kam.
    »Ich möchte trinken«, unterbrach sich Sascha unvermittelt.
    »Gestern hast du ganz schön was aus der Pfütze gesoffen, du Penner …«, flüsterte ihm eine Stimme ironisch zu.
    Sascha schob sie beiseite und stand ruhig auf.
    »Ich weiß nicht, wo genau du hingehst, aber ich hätte gerne Tee«, sagte Rogow.
    »Guten Morgen, Ljosch«, sagte Sascha.
    »Was willst du tun?«, fragte

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