Sankya
sehen – die Kolonne war an allen Seiten von Kordons der Miliz umgeben.
Sie trommelten ihre Schritte, als wollten sie ihr Territorium vermessen. Sie schrien: »Revolution!«
Sascha bemerkte Rogow, mit seinen kantigen Wangenknochen und dem dunklen Blick. Rogow schrie gemeinsam mit allen, laut, aufmüpfig, überzeugt davon, etwas absolut Notwendiges zu tun.
Kostja Solowyj, der zwischen zwei bezaubernden »Sojusniki«-Mädchen schritt, schwenkte eine riesige Flagge an einer vier Meter langen – aus Plastik gemachten und deshalb leichten – Fahnenstange. Die Fahne bewegte sich durch die Luft, als wäre sie lebendig.
Sascha ging anfangs in der Kolonne, bemerkte dann aber, dass er keine Luft bekam und die Brust brannte.
Er schleppte sich ans Trottoir, müde, in der Jacke eines Fremden, die man ihm im Bunker geschenkt hatte.
Die Miliz ließ ihn unwillig durch. Ein Uniformierter schaute ihn hasserfüllt an. Sascha beachtete ihn allerdings nicht im Geringsten. Für ihn selbst überraschend dachte er daran, dass er jeden Einzelnen von ihnen umbringen wollte – und es würde ihm nicht leid tun.
Hinter Sascha wollte sich Werotschka durchdrängen, die er gerade erst kennengelernt hatte, aber sie ließen sie nicht durch, stießen sie grob zurück.
»Idioten«, dachte Sascha. Er wollte sich nicht einmischen.
Auf dem Platz, an dem die Kolonne eine halbe Stunde später ankam, fand ein Meeting statt.
Als auch Sascha dort eintraf, trat Matwej schon auf der Ladefläche eines Lastwagens auf – blass, mit schwarzen Augen. Die »Sojusniki« hörten aufmerksam zu, bebten, sie waren bereit, in jedem Moment loszustürmen, und zu wiederholen, was sie erst kürzlich getan hatten.
Plötzlich bemerkte Sascha auf dem Lastwagen auch Jana. Sie stand am Rand, ernst, schön, in einem Lederjackett, einem halbdurchsichtigen Pullover mit »Löchern«.
»Ist ihr nicht kalt?«, dachte Sascha.
Er schaffte es zum Lastwagen, stieg hinten hinauf, das Rad berührte er mit der Spitze seiner Schuhe. Nicht weit entfernt rauchten zwei Schläger, Muschiki mit kräftigen Ärschen und Schenkeln, Operatiwniki in Zivil.
Sascha hörte ihr Gespräch mit.
»Sie verarschen den Präsidenten, dieses Ungeziefer!«, sagte einer dem anderen, und deutete Richtung Kleinlaster mit den Rednern. »Sie gehören alle festgenommen und jedem einzeln der Arsch aufgerissen. Ich persönlich würd’ jedem ordentlich die Fresse polieren.«
Sascha dreht sich um, innerlich bebte er, aus Schreck, vor Wut, oder – vermutlich das am meisten – aus Ekel.
»Und was, wenn ich jetzt meine Freunde sehe?« Sascha dachte an die, die ihn gequält hatten. »Was mache ich dann? Sie schweigend anglotzen? Mich verstecken?«
Er wusste, dass er sich nicht verstecken würde, natürlich nicht – ja, und wer würde ihn schon anrühren, inmitten von Hunderten »Sojusniki«. Und trotzdem schwoll eine klebrige, schwüle Wolke an …
Er schnorrte irgendwen um eine Zigarette an, ging ein wenig zur Seite, setzte sich auf eine Bank, rauchte. Die Finger zitterten.
Eine Sekunde lang bekam er keine Luft, da setzte sich plötzlich Jana neben ihn.
»Hallo«, begrüßte sie ihn.
Sascha nickte, ohne den Mund zu öffnen, er genierte sich für den fehlenden Zahn.
»Wie geht’s dir«, fragte Jana.
Sascha zuckte mit den Schultern.
»Es geht«, antwortete er und suchte das richtige Wort. »Es ist erträglich.«
Er bemerkte, dass sie die Haare kürzer geschnitten hatte. Dadurch sah sie härter und sogar böser aus.
»Aber sehr schön, trotzdem«, dachte Sascha.
»Du, geh nicht weg, Matwej möchte mit dir sprechen. Uns ist da eine Idee gekommen: Man sollte ein Strafverfahren eröffnen«, sagte Jana. »Wegen der Gewalttätigkeiten gegen dich. Wie findest du das?«
»Ich weiß nicht, mir ist es egal …«, antwortete Sascha und schwieg.
Es war irgendwie verrückt und ihm war auch ein bisschen schlecht.
»Warum schweigst du?«, fragte Jana.
»Warum bist du nicht zu mir gekommen?«, fragte er zurück. »Das war grob und dumm«, dachte er sofort.
Jana, so kam es Sascha vor, stöhnte ironisch, was soviel hieß wie – Warum hätte ich zu dir kommen sollen, bin ich etwa deine Frau? Bei uns sind öfter Leute im Gefängnis oder im Krankenhaus, und sie alle zu besuchen …
Sie antwortete nicht auf seine Frage, zog eine schmale, elegante Zigarette hervor – mit ihren dünnen Fingern und grell lackierten Nägeln.
Sascha schnorrte sie um eine Zigarette an, erst da bemerkte er, wie lang seine
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