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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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früher gemacht hatte – in Unterhosen und ohne Unterhemd herumzulaufen, damit die Mutter die Narben auf der Brust nicht bemerkte.
    Der ausgeschlagene Zahn allerdings, und dass er hinkte, das fiel ihr auf.
    »Ich hab mich geprügelt«, hatte ihr Sascha damals gesagt. Dann zeigte er stolz den neuen Zahn. »Wie ist der Hauer – Mama?« Er schaute sie an und dachte: »In deinen Augen sind so viele Tränen. Blinzle ein wenig, Mama, das ist unerträglich.«
    Tatsächlich sagte er aber nichts. Und auch sie schwieg, fragte nichts.
    Sascha hatte sogar den Eindruck, dass er ihre Gedanken erriet. Die Mutter dachte: »Er stellt nichts Schlimmes an, er kann das gar nicht …«
    Aber er konnte. Und er wollte.
    »Du hast Gäste«, sagte sie lächelnd. Und sie lächelte mittlerweile ohne Angst und heimliche Feindseligkeit, wie früher, wenn sie zu Hause »Sojusniki« antraf – sondern direkt, offen. Wahrscheinlich hatte sie vieles noch einmal überdacht und verstanden, dass sie nichts mehr ändern konnte. Ja, und die Jungs waren dem Aussehen nach zu schließen ganz in Ordnung, sowohl Matwej, als auch Rogow. Sie begrüßten sich sehr herzlich.
    »Mama, wir würden irgendwas zum Essen vertragen«, sagte Sascha.
    »Wollt ihr Pelmeni?«
    »Ja, genau die möchten wir.«
    Mama legte jedem an die dreißig Pelmeni auf den Teller, sie hatte auch eine Schüssel Salat zubereitet, großzügig schnitt sie Käse ab.
    Sie linste aus den Augenwinkeln, verteilte die Teller und ging hinaus.
    Matwej erzählte amüsante Geschichten über die »Sojusniki«. Irgendwoher war kürzlich auch Wenja plötzlich wieder aufgetaucht, der – keiner wusste wo – untergetaucht gewesen war. Er hatte in jener Nacht an einer »Attacke« auf die lettische Botschaft teilgenommen – sie bewarfen die Mauern des Gebäudes mit Flaschen, die mit Farbe gefüllt waren, an die Fassade war geschmiert worden: »Für unsere Veteranen schneiden wir euch die Ohren ab«.
    Die Miliz hatte Wenja durch die Höfe verfolgt, ihn aber nicht erwischt – er schaffte es schließlich, sich in einer Müllhalde zu vergraben. Später behauptete er, dort hätten sich nur große Plastiksäcke, aber keine widerwärtigen Dinge befunden, was ihm allerdings niemand abnahm. Das Interessanteste daran war, dass auch die Miliz sehr wohl die Idee hatte, er könnte ja dort, im Müll, stecken; sie stocherten mit den Gummiknüppeln ein wenig herum, doch ekelte es sie, tiefer darin zu graben.
    Wenja hatte sich stattdessen gestern selbst weiter hineingeritten: In der Boulevardpresse war zu lesen, ein »SSler« habe einen Überfall auf Santa Claus verübt.
    Es ging dabei um Folgendes – man hatte in Moskau an einigen Plätzen in aller Eile Weihnachtsmänner aus Schnee aufgestellt. Wenja, der besoffen war, hatte einen mit der Schaufel zerschlagen – aus Hass auf den, seiner Meinung nach, bourgeoisen »Neujahrs«-Feiertag mit seinem allzu bärtigen unrussischen Boten.
    In Petersburg hatten sich die »Sojusniki«-Jungs erdreistet, auf eine Hälfte der aufgeklappten Schlossbrücke ein männliches Geschlechtsorgan zu malen . Als die Brücke nachts geöffnet wurde – richtete sich direkt gegenüber den Fenstern des FSB ein riesiges, mit weißer Farbe gespraytes Glied auf.
    Dann setzten die Petersburger eine Puppe des Präsidenten direkt auf die Turmspitze der Stadtverwaltung, was dann auch der Grund dafür war, weshalb Matwej in den Kreml gerufen wurde.
    In Rjasan trieben sie eine Schafherde zu einer Demonstration, dreißig Tiere, mit einem Schild, auf dem der Name der wichtigsten Partei des Präsidenten stand.
    Die Schafe wollten sie als Sachbeweis sicherstellen, aber die »Sojusniki« gaben nur die Schilder heraus.
    Sascha lachte ehrlich über Matwejs kunstfertige Erzählungen, spürte zugleich aber auch ein leichtes, kaltes Kribbeln im Nacken oder irgendwo da auf dem Rücken – davon nämlich, was er versprochen hatte, zu machen, und dass er das auf jeden Fall tun würde.
    Er ließ den Gedanken sausen, als er plötzlich bemerkte, dass Mama den Fernseher in ihrem Zimmer leiser gedreht hatte – offenbar interessierte es sie, worüber sie hier so lachten.
    Als er die Jungs verabschiedete – sie quartierten sich in der leeren Wohnung eines örtlichen »Sojusniks« ein, am nächsten Morgen fuhren sie weiter durch das heimatliche Russland –, da kam Mama ins Vorzimmer. Während sie sich von Matwej und Ljoscha verabschiedete, schaute sie aufmerksam in deren Gesichter.
    »Na, Mam, was ist?«,

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