Sanssouci
Was ist? Sie: Was soll sein? Er trat um die Hausecke und sah in einiger Entfernung Heike mit Frau Schmidt am Gartenzaun stehen.
Es ergab sich ein kurzes Gespräch zu dritt. Da die Zwillinge auf Frau Schmidt einen abgezehrten Eindruckmachten, bot sie ihnen an, bei ihr etwas zu essen. Sie sprachen über Hornungs Beerdigung, aber als die alte Frau fragte, wie es denn mit ihnen beiden überhaupt weitergehen solle, verabschiedeten sich Heike und Arnold freundlich und setzten ihren Gang um das Haus fort. Heike lief zur Gartenhütte, sperrte die Tür auf, schaute hinein, Arnold rief, ob da wer sei. Niemand antwortete, niemand war zu sehen. Dann liefen sie wieder vor das Haus, warteten noch einige Minuten und schlossen dann auf. Im Vorraum machte Arnold Licht. Alles sah aus wie immer, abgesehen davon, daß in der Küche aufgeräumt war. Soweit sie sich erinnern konnten, hatte hier vor einigen Tagen noch völlige Unordnung geherrscht, hauptsächlich durch sie selbst verursacht (sie hatten in den Tagen vor der Beerdigung die Vorräte im Haus geplündert). Heike sagte, sie sei müde wie eine Tote, und ging sofort in den ersten Stock hinauf. Arnold sagte, er wolle noch etwas trinken.
Er streunte eine Weile durch das Erdgeschoß, dann warf er sich auf die Couch im Zimmer neben der Küche, dachte an gar nichts mehr und schlief ein, ohne das Licht zu löschen.
Gegen drei kam Heike herunter. Sie sah ihren Bruder schlafen und hockte sich längere Zeit neben ihn. Die Rolläden waren nicht geschlossen, sie ließ sie herunter, Arnold wachte davon nicht auf. Dann hockte sie sich wieder zu ihrem Bruder. Arnold kam zu sich, rieb sich die Augen und sah seine Schwester verkniffen an. Komm hoch, sagte sie. Schlaf nicht auf der Couch! Er: Ihm komme es so vor, als sei jemand an der Tür gewesen, abervielleicht habe er das nur geträumt. Sie liefen hinaus und öffneten die Haustür. Vor der Tür stand eine mit Alufolie bedeckte Platte. Arnold nahm die Folie ab, darunter befand sich ein falscher Hase. Frau Schmidt mußte ihn vor Stunden vor die Tür gestellt haben. Er war in der Mitte halbiert, man sah ein hartgekochtes Ei im Hackfleisch stecken. Heike und Arnold gingen in die Küche und begannen, gierig das kalte Fleisch zu essen. Dazu tranken sie den nächsten greifbaren Schnaps. Dann holten sie sich noch Leitungswasser, gingen hinauf und legten sich gemeinsam hin.
II
Eine neue Bekanntschaft
Der Morgen war dunstig. Alexej saß im Zug und betrachtete die Landschaft. Das Zugfahren in Deutschland war anders als in Rußland. Man fuhr hierzulande immer nur wenige Stunden (spätestens nach sechs, sieben Stunden stieß man auf eine Grenze), und in dieser Zeit veränderte sich die Landschaft sehr viel schneller als in Rußland. In Rußland war er oft acht Tage lang gefahren, von Moskau bis Blagowestschensk.
Hinter Frankfurt kam ein landwirtschaftliches, hügeliges Stück, dann war man in Fulda. Fulda war bereits eine andere Welt. Dann kam Kassel, es wurde wieder flacher …
Der Zug fuhr dahin. Göttingen, Hildesheim … In Hildesheim stiegen eine junge Frau und ein Mann in Alexejs Abteil. Der Mann war vielleicht so alt wie er. Alexej sah die beiden freundlich an, dann schaute er zum Fenster hinaus. Der Tag war jetzt hell und klar, er wußte, daß er unter seiner Kutte und seiner Kopfbedeckung schwitzen würde, aber daran hatte er sich längst gewöhnt.
Am Bahnhof Zoo kam es zu einer eigenartigen Begebenheit. Alexej ging zum Bahnsteig fünf, um auf den Regionalzug nach Potsdam zu warten. Dort sah er den Mann aus seinem Abteil wieder. Der Mann rauchte und musterte ihn, ging dann an einen Kiosk und holte sich ein Fläschchen Kümmerling. Er trank nachdenklich, und Alexej hatte plötzlich das Gefühl, jemanden vor sich zuhaben, für den es gerade Winter war. Das mit dem Winter war freilich ein komischer Einfall. Alexej setzte sich auf einen Steinvorsprung.
Bald fiel er in ein Gebet. Alexejs Gebete waren oft die Fortsetzung eines Gesprächs mit Gott, das er eben noch geführt hatte. Er redete oft mit Gott, manchmal ganz unbewußt, und immer wenn er sich darüber Rechenschaft ablegte, überfiel ihn eine tiefe Dankbarkeit. Seine Seele verwandelte sich dann aus einem Gesprächsteilnehmer in ein Gebet, das demütig dankte für das einfache Dasein in und mit Gott. Dieses einfache Dasein, das ganz einheitlich war und alles umfaßte, vergaß Alexej nach wie vor oft, auch in den Gesprächen mit Gott schied er ja in »sich« und »Gott«, denn wo es ein
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