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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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vielleicht etwas älter. Heikes Haltung drückte diesmal nicht dieübliche Laszivität aus, sondern etwas Sachliches, geradezu Geschäftsmäßiges. Der Mann wollte Heike ein Bündel Geldscheine geben, aber Heike wies mit einer Geste darauf hin, daß sie das Geld nicht einstecken könne. Sie trug dieselbe Kleidung, die sie einige Tage zuvor in Frankfurt getragen hatte. Vielleicht hatte sie nur diese Sachen und sonst nichts. Sie wirkte noch abgemagerter. Alexej konnte beobachten, wie sie die Blicke aller Passanten auf sich zog.
    Mai redete unterdessen weiter. Er redete, als müsse er sich zwanghaft etwas vergegenwärtigen, wie ein Getriebener. Er habe damals auf dem ehemaligen Stasi-Gelände gewohnt, nicht direkt auf ihm, aber am Rand. Er sei immer auf einem Waldweg in die Stadt gefahren, an einem verrotteten Haus vorbei, dann an einem Sportplatz entlang, dann an der Universität, wo sie studierte, dann an den Communs, jeden Tag derselbe Weg. Kennst du den Park? Kennst du die Communs? Ihr Vater war dort tätig, als … als eine Art Forstwirtschaftler. Mehr als das, glaube ich, er war ein Beamter in der Schlösserverwaltung, für die Grünanlagen, für die Bäume, Charlottenhof, Cecilienhof … ich glaube, er ging sogar auf die Jagd. Ich habe ihn nie kennengelernt. Ich habe niemanden aus diesen Kreisen kennengelernt, ich habe hier immer nur eine ganz gewisse Gruppe angetroffen, von allem anderen hielt man mich fern …
    Plötzlich schwieg Mai. Alexej sah, wie Heike mit dem Mann in Streit geriet. Sie gestikulierte heftig. Der Mann, der unauffällig gekleidet war wie ein ganz normaler Passant, ging einige Schritte weg, dann kam er zurück.Beide setzten sich auf eine Bank. Der Mann erhob sich aber schon nach kurzem wieder, ging an einen Stand und holte eine Bratwurst, die er Heike geben wollte. Heike nahm sie aber nicht an. Daraufhin aß der Mann die Wurst selbst.
    Alexej sah jetzt am Ende des Gangs auch Arnold stehen. Arnold wirkte wie jemand, der sich über eine Situation zu orientieren versucht. Dann war er auch schon wieder verschwunden.
    Nun geschah noch etwas. Ein alter Mann trat auf die Bank zu, auf der Heike und der andere Mann saßen. Der alte Mann sah zerlumpt aus und hatte ein rotes, unrasiertes, von der Sonne gegerbtes Gesicht wie ein langjähriger Trinker, der auf der Straße lebte. Alexej kannte ihn nicht, es war der alte Baron. Der Alte ging auf den Mann zu, der neben Heike saß, und streckte seine Hand aus, wie um Geld zu erbetteln. Der Mann auf der Bank machte ein angewidertes Gesicht und versuchte, den Baron zu verscheuchen. Alexej sah, wie der alte Mann grinste. Er ließ sich nicht von seinem Tun abbringen, stand in großer Seelenruhe da und streckte weiterhin seine Hand aus.
    Irgendwann reichte es dem Mann, er stand auf, warf seine halbgegessene Wurst weg und verließ die Szene. Es dauerte keine zehn Sekunden, dann lachten Heike und der Alte miteinander. Alexej begriff, daß die beiden sich kannten. Heike wirkte jetzt völlig anders als noch wenige Minuten zuvor, als der andere Mann bei ihr gesessen hatte. Sie wirkte jetzt jünger, ausgelassen, fast kindlich. Als sei eine Last von ihr abgefallen.
    Mai hatte die ganze Zeit geschwiegen und irgendwann ebenfalls begonnen, in den Bahnhofsganghinauszuschauen. Auf die Szene auf der Bank verwendete er keinerlei Aufmerksamkeit, sie ging für ihn im allgemeinen Bahnhofsgetümmel unter.
    Dann begann er wieder zu sprechen. Sein Aufenthalt hier liege drei Jahre zurück. Wußtest du, sagte er, daß in dieser Stadt eine sehr aggressive Stimmung herrscht? Ich habe in einer mittelgroßen, sogenannten guten Wohnung gelebt, in einem Neubaugebiet, direkt am Stadtrand. Es sah aus wie aus einem Katalog. Vieles sieht hier aus wie aus einem Katalog. Übrigens ist es besser, wenn ich jetzt gehe. Weißt du, wo du übernachten wirst? Nein, sagte Alexej, das wisse er nicht. Vielleicht fahre er schon heute wieder nach München zurück. Mai sagte, er übernachte im Haus von Max. Wenn er am Abend noch da sei, könne er gern dorthin kommen, falls ihm daran gelegen sei. Danke, sagte Alexej. Mai zahlte für sie beide und ging, er wirkte verzweifelt. Vor der Glasscheibe der Cafeteria stand er noch einige Sekunden unschlüssig herum, schaute nach links und rechts, dann sah er noch einmal zu Alexej, lächelte angestrengt, anschließend ging er nach rechts davon, und hinter ihm wurde wieder die Bank sichtbar, von der Heike gerade aufstand.
    Alexej nahm seine Tasche, ging hinaus und lief zu

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