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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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Formulierung, »familiäre Gründe«, ohne weiter auszuführen, was er damit meinte. Alexej wollte ihn auch nicht danach fragen.
    Die Fahrt nach Potsdam dauerte kaum zwanzig Minuten. Christoph Mai war im Besitz eines Schlüssels für das von Hornung gemietete Haus. Er hatte ihn vom Notar bekommen. Mai wußte nicht genau, was auf ihn zukommen würde, er kannte das Haus nicht und hatte von Hornungs Nachlaß kaum eine Vorstellung. Weißt du, sagte er, ich kann mir nicht einmal vorstellen, wieso Max sich überhaupt um seinen Nachlaß kümmerte, das paßt nicht zu ihm. Er hat nie an ein »Nachleben« oder so etwas gedacht. Er hat auch den Rummel um seine Oststadt nicht ernst genommen. Alexej: Um seine Oststadt? Er: Ja, das ist die Vorabendserie, die er hier gemacht hat. Sie ist in der Stadt sehr umstritten, hat aber viele Fans. Wir kommen alle darin vor, ich auch. Ich weiß, wie Max gearbeitet hat. Er brauchte immer Vorbilder, die hat er eins zu eins in seine Serie hineingeschnitten. Es gibt eine Figur, Eduard von Mayerlingk, die trägt eindeutig Züge von mir.
    Alexej sagte, daß er Max nur aus Bad Nauheim kenne und von seinem Potsdamer Leben gar nichts wisse. Er habe von dieser Serie nie etwas gehört. Sie, Max und er, sprachen nie über solche Dinge. Sie sprachen immer über ganz anderes.
    So ging das Gespräch eine Weile, dann stiegen sie aus. Im Bahnhof tranken sie einen Kaffee. Das Thema wechselte nun zu dem, was Mai vorher als »familiäre Gründe« bezeichnet hatte. Mai redete immer mehr. Es fiel Alexej eine gewisse Nervosität an dem Mann auf. Mai erzählte etwas von einer Frau, von einer Frau aus Potsdam, aber er verstrickte sich in Andeutungen, so daß Alexej kaum etwas verstand. Er schaute Mai mitleidig an, denn es kam ihm in den Sinn, wie schwer es Mai gefallen sein mußte, in den ersten Minuten ihrer Begegnung seine Nervosität zu verbergen.
    Weißt du, sagte Mai, ich reise … schon dieses Wort, reisen, es ist eigentlich idiotisch, aber ich empfinde es so, denn diese Reise liegt mir eigentlich fern, und dennoch bin ich eigenartigerweise getrieben dazu, aber, entschuldige … wie solltest du das verstehen? Max war in einigem entschlossener als ich, das heißt, er entschloß sich zu Dingen, und die hielt er dann auch durch, und vielleicht waren es nicht einmal Entschlüsse. Alexej, wir kennen uns eigentlich gar nicht, soll ich wirklich fortfahren, über diese Dinge zu sprechen?
    Alexej sagte, er könne gern weiterreden, wenn er wolle. Vorher habe er aber selbst eine Frage. Kenne er, Christoph, zwei Zwillingskinder im Alter von siebzehn Jahren namens Heike und Arnold? Den Nachnamen wisse er nicht, aber sie kämen aus Potsdam. Er habe sie auf der Beerdigung kennengelernt.
    Mai: Ich war nicht auf der Beerdigung, ich weiß es nicht. Ich kenne sie nicht. Obwohl ich hier (er schaute aus dem Cafeteriafenster) eine Zeitlang gewohnt habe.Kannst du dir das vorstellen? Mai lachte abgründig und sprach nun immer seltsamer. Fahrradfahren von Eiche nach West, jeden Morgen, ja … Ich bin mit einem Postfahrrad gefahren, weißt du, so ein altes Postfahrrad, wie ich es im Westen gar nicht mehr erlebt habe, mit einem herunterklappbaren Bügel vorn, die waren in gewissen Kreisen hier sehr in Mode. Für uns hat es zuerst sogar etwas Erfrischendes … diese alten Fahrräder … aber nur eine Zeitlang … Haha, ich kannte sogar Menschen, die unbedingt in einer Wagenburg wohnen wollten, sie gaben Anzeigen auf und versuchten Leute kennenzulernen, nur damit sie aufgenommen würden in einer solchen Wagenburg. Weißt du überhaupt, was das ist, eine Wagenburg? Wie schwer es ist, da hineinzukommen? Eine Art Faschismus. Aber die Menschen dort fühlen sich frei, ungeheuer frei, sie fühlen sich jedoch auf eine so eigenartige Weise frei, auf eine Weise, an der etwas nicht richtig ist … nicht nur nicht richtig, sondern völlig falsch. Sie kennen sich überhaupt nicht selbst und halten sich fast immer für das Gegenteil von dem, was sie sind. Die anderen halten sie auch für das Gegenteil. Entschuldige, das wird ein Vortrag ohne Gegenstand … Aber laß mich bitte weitererzählen … einmal war ich sogar in einer solchen Wagenburg, aber es ging mir damals nicht gut, eine Frau führte mich dorthin, sie haßte mich, diese Frau …
    Alexej trank von seinem Kaffee, schaute auf den Gang vor dem Fenster und war überrascht, dort Heike zu sehen. Er wollte hinauslaufen, sah dann aber, wie ein Mann auf Heike zutrat. Der Mann war Mitte Dreißig,

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