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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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nachgerade hell war und dazu völlig menschenleer. Mit der Tochter des Schloßförsters von Sanssouci! (Er lachte.) Das war geradezu ein Zwang bei ihr: immer im Park. Aber jetzt will ich unbedingt auf die Schönheiten dieses Parks achten, und dafür, allein dafür bin ich aufs Fahrrad gestiegen. Deshalb fahre ich jetzt zum Marlygarten, auch wenn der Parkwächter, der übrigens aussieht wie ein DDR-Grenzbeamter, oder vielmehr wie ein Walroß, etwas dagegenhat, ja, Herr Wächter, freilich, absteigen, sofort, aber vorher muß ich noch zu den Neuen Kammern, und zum Reiterstandbild muß ich auch noch, und vor allem muß ich zum Marlygarten …
    Im Marlygarten stieg er ab, ließ das Fahrrad an einer Hecke stehen, lief durch den Garten und kam zur Friedenskirche. Er ging ins Atrium, weil er einen bestimmten Platz auf einem Steinmäuerchen wiedersehen wollte, auf dem er oft allein gesessen hatte, mit Blick auf den Marlygarten und die Rosen und den Jasmin darin. Nun, da er den kleinen Vorhof wiedersah, überkam ihn fast eine idyllische Stimmung. Er saß eine ganze Weile da, dann lief er um den kleinen Hof herum und sah einen Mann. Der Mann stand unter einem Arkadenbogen, schaute in den Innenhof und bog seinen Oberkörper immer wieder vor und zurück. Mai blieb stehen. Der Mann war ärmlich gekleidet, er trug eine alte, gestreifte Stoffhose, in die er nachlässig sein Hemd gesteckt hatte. Der Mann mochte um die dreißig sein, sein Haar war rotblond, dicht, ungepflegt und notdürftig zu einem Zopf zusammengebunden, er hatte einen roten, ihn verunstaltenden Bart überdas ganze Gesicht. Das Hemd stand zur Hälfte offen. Mai sah, daß der Mann Augen und Mund weit aufriß. Die Augen traten ihm fast aus den Höhlen. Er hatte beide Hände erhoben und hielt sie, die Handflächen nach vorn gekehrt, neben sein Gesicht, während er irgend etwas Undefinierbares anstarrte. Dabei schnappte er so heftig nach Luft, daß dadurch das Vor- und Zurückbiegen erfolgte, das Mai zuerst beobachtet hatte. Der Rothaarige fixierte Christoph Mai, ohne mit seinem panischen Atmen aufzuhören. So starrte er Mai vielleicht fünfzehn oder zwanzig Sekunden an. Als Mai weiterging, verschwand der Mann plötzlich aus der Arkade. Was für eine eigenartige Erscheinung, dachte Mai. Er hatte den Rothaarigen nie zuvor gesehen.
    Mai ging zu seinem Fahrrad zurück, drehte aber auf halbem Weg um, weil ihm einfiel, den Roten zu fragen, ob er Hilfe brauche.
    Der Mann stand wieder im Arkadenbogen, hatte seine Augen aufgerissen und erweckte überhaupt genau denselben Eindruck wie vorher. Er verfolgte Mai mit dem Blick, ohne mit dem heftigen Atmen aufzuhören. Mai stand nun vor ihm und sah, daß er Wasser in den Augen hatte. Er sah aus wie jemand, der weint, ohne es zu bemerken. Vielleicht, dachte Mai, kommt der Wasserfluß zustande, weil er derart heftig atmet und die Augen so panisch aufreißt. Es scheint psychisch bedingt zu sein. Geht es Ihnen nicht gut, fragte er. Der Mann (er war etwas kleiner als Mai) sah ihn mit aufgerissenen Augen und aufgerissenem Mund an, er schaute ihn einfach an und atmete weiter, es war eine absurde Situation. Es war der Blick eines Menschen, dersich ausschließlich aufs Überleben konzentriert. Was ist denn mit Ihnen los, fragte Mai erneut. Der Mann ließ seine Augen nicht von Mai, dann trat er zwei Schritte zurück und lief den Arkadengang hinab. Kann ich Ihnen irgendwie helfen, rief Mai. Der Rothaarige wollte einer Begegnung offenbar um jeden Preis entgehen, er beschleunigte seinen Schritt und geriet dabei fast in ein Hüpfen. Dabei drehte er seinen Kopf nach hinten und ließ Mai immer noch nicht aus den Augen. Dann war er um eine Ecke verschwunden. Mai sah aus dem Atrium in den Garten. Der Mann rannte zwischen den Blumenbeeten davon, etwa hundert Meter, was ihn viel Mühe kostete, dann verfiel er plötzlich in einen langsameren Schritt und blieb nach einigen weiteren Metern stehen. Er war nun fast jenseits des Friedensteichs. Nach einer Weile drehte er um, ging zur Kirche zurück, betrat das Atrium und stellte sich wieder in den Arkadenbogen. Mai lief zu seinem Fahrrad zurück und verließ den Park.
    Er fuhr direkt nach Eiche zum Haus von Merle Johansson. Es handelte sich um das Gebäude einer ehemaligen Ziegelfabrik, das zu Miet- und Eigentumswohnungen umgebaut worden war. Das Haus lag abseits der Straße. Auf dem Firmengelände war seit der Wiedervereinigung eine Siedlung entstanden, die bei den Potsdamern sehr beliebt war, da sie genau

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