Santa Clause - Eine Unglaubliche Geschichte
wütend Laut gab.
Hätte sie das getan, hätte sie den Sohn ihres Nachbarn sehen können, der anderthalb Meter über dem Kopf ihres Hundes schwebte. Und daß dieser so wütend kläffte, weil er die Beine des Jungen nicht erreichen konnte. Der Sohn des Nachbarn freute sich, daß er endlich diesem verhaßten Kläffer eins auswischen konnte. Flecks Weihnachtsgeschenk war die Verwirklichung der geheimen Wünsche aller Kinder.
In ganz New York gab es nur eine Wohnung, wo das Geschenk in dem Patchwork-Papier ungeöffnet unter dem Weihnachtsbaum liegenblieb. Cornelia saß in einer Ecke des Wohnzimmers auf dem Teppich und suchte sich die Noten von »Jingle Bells« auf ihrem neuen Spielzeugklavier zusammen, während sie mit dieser Melodie Santas fröhliches, lächelndes Gesicht vor ihrem inneren Auge heraufbeschwor. Sie hatte die ganze Nacht tief und traumlos geschlafen, obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, bei dem leisesten Geräusch aufzustehen und Santa Claus fröhliche Weihnachten zu wünschen. Doch am Morgen hatte sie dann sein in rotes und grünes Papier eingewickeltes Geschenk gefunden, das neue Klavier, das sie sich gewünscht hatte. (Miss Tucker hatte sich strikt geweigert, ihr so ein Piano zu kaufen, weil sie so ein Instrument für eine »lästige Nervensäge« hielt.)
Zugleich hatte sie das in Patchwork-Papier eingewickelte Geschenk gefunden, wie es ihr in dieser empörenden Reklamesendung angekündigt worden war. Sie hatte sich aus Loyalität zu Santa Claus geweigert, das Päckchen auch nur anzurühren.
Miss Tucker stand auf der anderen Seite des mit Engelshaar und Glaskugeln geschmückten Weihnachtsbaumes und betrachtete Flecks Geschenk mit ungeduldiger Neugier. »Willst du es nicht wenigstens auspacken?« fragte sie schon zum drittenmal.
»Ich nicht«, erwiderte Cornelia energisch.
Miss Tucker betrachtete sehnsüchtig das Geschenk. Sie bekam nie etwas zu Weihnachten (nur den großen, rumgetränkten Früchtekuchen, den sie sich selbst kaufte). »Aber Kind«, sagte sie zögernd, »es wäre doch ein Jammer, so etwas verkommen zu lassen . . .« Sie sah Cornelia an. »Hast du etwas dagegen, wenn ich es mir nehme?« fragte sie schließlich.
Cornelia sah nicht einmal zu ihr hoch. »Meinetwegen«, sagte sie, immer noch in ihr Klavierspiel vertieft.
Miss Tucker packte mit flinken Fingern das Geschenk des Elfen aus und betrachtete flüchtig die rotbraune glitzernde Bonbonmasse. Da sie nie ein schlechter Esser war — wie Taille und Brustumfang bewiesen, trennte sie mit einem Biß das Zuckerwerk von der ungenießbaren Holzstange und zermalmte es mit ihren Pferdezähnen.
Da sie alles auf einmal verschlang, begann auch der Zauber gewaltsam zu wirken. Wie ein Heißluftballon stieg Miss Tucker vom Fußboden auf. »Huuu!« schrie sie, während sie sich entgeistert an den Kopf faßte.
Sie schwebte in der Mitte des Raumes zwischen dem Fußboden und der hohen, stuckverzierten Decke, ein lebendig gewordener Reklameballon für Lutschbonbons.
Cornelia starrte Miss Tucker fassungslos an, die mit den Armen ruderte und im Zimmer herumschoß wie eine übergewichtige Henne, die unbedingt in der Luft bleiben wollte. »Ooooh!« rief Miss Tucker mit schriller, lachender Stimme. Es war das erstemal, daß Cornelia ihre Kinderschwester lachen hörte. »Schau mich an! Ich komme mir vor wie Mary Poppins!« Sie hatte immer davon geträumt, einmal eine so perfekte Kinderschwester zu sein wie Mary Poppins – ein in jeder Hinsicht so vollkommenes Geschöpf, daß sie sogar zaubern konnte. Doch Miss Tucker hatte noch nie in ihrem Leben etwas Zauberhaftes erlebt oder einen zauberhaften Gedanken gehabt.
Cornelia saß sprachlos auf dem Boden und bestaunte dieses Wunder. Sie war sogar ein bißchen neidisch auf Miss Tucker, obwohl sie das nie zugegeben hätte. Und dabei wurde sie ganz traurig, weil sie an Santa Claus denken mußte. Wie wollte er denn gegen ein Geschenk konkurrieren, das Kinder durch die Luft schweben ließ?
Santa Claus ging in einer kleinen Stadt im Westen der Vereinigten Staaten die Straße hinunter. Zum erstenmal seit Jahrhunderten besuchte er die Außenwelt bei Tageslicht. Nachdem er sich von Joe verabschiedet und seine Bescherungsreise fortgesetzt hatte, war er in jedem Haus, das er besucht hatte, auf dieses in gewürfeltes Papier eingewickelte Geschenk von Fleck gestoßen, das er den Kindern in seiner Werbesendung versprochen hatte. Da war die Depression, mit der er diese Reise begonnen hatte, mit aller Macht
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