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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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Kaffeeduft, ein bisschen Sonnenlicht und freundliche Gesichter alles bewirken können … Ich komme mir vor, als säße ich bei netten Leuten im Wohnzimmer – O. K.: dessen Einrichtung sie von ihrer Mutter übernommen haben. Tatsächlich sitzt am Tisch nebenan eine etwas mürrisch wirkende alte Dame. Meine Hoteliers versuchen, ihr ein Stück Hefezopf schmackhaft zu machen, aber sie macht eine Miene, als würde man einer Reiterin Pferdefrikadellen anbieten. Unvermittelt mischt sie sich in unser
Gespräch ein: »Früher hat man sich noch Erbsen in die Schuhe getan«, sagt sie. »Wieso das denn?«, frage ich, und überlege kurz, inwieweit das den Komfort der Wanderung steigern könnte. Ich denke an die Blase, die in meinem Wanderschuh unter einem frischen Pflaster vor sich hin pocht. Ob weichgekochte Erbsen vielleicht antiseptisch wirken? »Weil das beschwerlicher ist«, erwidert die Dame und sagt den Rest der Zeit gar nichts mehr. O. K.: Dafür verspricht das Radio die schönsten Ostertage seit sieben Jahren. Ein kleiner Tumult im Vorraum zeigt schließlich an, dass Heidi und Armin sich auf den Weg machen. Jessas: In ihren Rucksäcken würde ich nicht mal meine Socken unterbringen! Beim Packen meiner Nemesis mache ich übrigens Fortschritte: Zwar habe ich auch heute wieder den Kulturbeutel vergessen. Aber er lag immerhin schon daneben, so dass er mir sofort auffiel, als ich das Ding Richtung Tür zog. Unter seinem Gepäck trägt Armin nur ein T-Shirt, obwohl es kühl ist wie in einer Joghurt-Theke. Heidi redet mich zum Abschied mit »Bruder« an. Dann setzen beide Strohhüte auf und ziehen los. Keine Frage: Die beiden würden zu Fuß auch bis Santiago de Chile kommen.
    Bevor ich losziehe, mache ich mich noch auf die Suche nach irgendjemanden, der mir meinen verdienten Stempel verabreichen könnte. Aber Remscheid hat nicht auf mich gewartet: In einer Kirche ist gerade Gottesdienst, an allen anderen in Frage kommenden Türen rüttele ich vergebens. Dafür ist der Himmel wie blau angemalt – und ich entdecke eine Pilgergasse. Das Straßenschild beschert mir ein warmes Gefühl in der Magengegend. Ein Ort zum Zurückkommen, keine Frage! Erstmal muss ich aber los. Der Beginn der heutigen Etappe ist nämlich hart. Zunächst die übliche urbane Hölle: Es geht eine breite Straße entlang; nach etwa zwei Kilometern darf ich
plötzlich scharf rechts. Der Verkehr wird schlagartig so dünn wie koffeinfreier Hotelkaffee, aus Stadt wird auf einmal Gegend. Dafür geht es stramm bergauf. Dann wieder bergab. Bergauf! Bergab! Mann, das nervt langsam! Immer dasselbe: Auf, ab, rauf, runter, auf, ab! Man kraxelt steile Hänge hoch, einer fieser als der nächste, dann geht es wieder abwärts. Langsam habe ich davon die Nase voll! »Naja,« sagt plötzlich eine innere Stimme zu mir, »man kann eben nicht oben bleiben.« Da bin ich platt. Was ist das denn jetzt? Philosophie? Sofort stürmt eine ganze Armada verwandter Gedanken auf mich ein – und ich stehe mit Block und Bleistift in der Hand davor. »Das Leben ist ein geschlossener Kreis. Du gehst, wie du gekommen bist – mit leeren Händen. Niemand nimmt etwas mit«, denkt es in mir. »Dazwischen legst du natürlich irgendeinen Weg zurück. Aber wenn es bergauf geht, muss es eben anschließend auch wieder runtergehen. Du kannst nun mal nix mitnehmen, wenn du abtrittst.« Ich fasse meinen Wanderstab fester und stapfe weiter bergab. »Trotzdem müssen Steigungen sein. Immer nur flach wäre ja langweilig. Keine Aussichten … Aber wer am Gipfel festhält, der kommt eben nicht voran«, doziert meine innere Stimme weiter. Donnerwetter , denke ich, mehr davon, bitte ! Nach diesem Philosophie-Flash wandere ich ziemlich euphorisch weiter: Alle paar Hundert Meter halte ich an, um irgendetwas in mein Notizbuch zu kritzeln. » Du nimmst nichts mit «, schreibe ich. Ja, was soll das alles denn dann?
    Da fällt mir ein, dass ich mir vorgenommen hatte, meinen hundertsten Kilometer fotografisch zu dokumentieren. Glatt vergessen! Dann knipse ich eben Kilometer Nummer 102,1. Ich halte meinen GPS-Empfänger vor die Kamera. Das Bild wird unscharf. Wenigstens hält das Wetter jetzt wärmetechnisch doch noch, was der Himmel den ganzen Morgen
schon versprochen hat. Ich komme durch einen Wald; dann sieht es hinter dem frischen Laub irgendwann

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