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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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besser als dieses blöde Eiscafé! Gut, dass ich nicht in diesem blöden Spießerkaff geblieben bin! Trotzdem: Gestern 28 Kilometer statt 14, heute wahrscheinlich schon wieder 20 statt 10 – langsam macht mein Pensum mich doch mürbe.
    Bald darauf schleppe ich mich ausgepowert wie Keith Jarrett zu Zeiten seines massiven Erschöpfungssyndroms über die Waldwege. Trotz der Pause am Bach fühle ich mich, als hätte ich eben die Alpen überquert. Außerdem habe ich schon lange kein Haus mehr gesehen … Ich setze mich auf eine Bank. Mal sehen, was das GPS sagt. Resultat: Schlicht und einfach
– Nichts. Es sei denn, ich nehme einen Umweg von mehreren Kilometern in Kauf. Die Blase unter meinem Fuß pocht, als ob ich sie in Schwefelsäure getunkt hätte. »Hey, got your position?« Jemand klopft mir auf die Schulter: Ein Mann etwa Mitte dreißig. Er lächelt mich an. »Thank you, quite fine. But I könnte allmählich a Hotel gebrauchen. Verstehen Sie?« »Klar. Ich dachte, Sie kämen nicht von hier.« Der Typ dreht sich zu seinen Kollegen um, die in ein paar Metern Entfernung auf ihn warten. Sie schütteln den Kopf. »Also, ein Hotel kenne ich hier nicht. Aber wenn Sie am Bach lang weitergehen, kommen Sie an der Rausmühle vorbei, die hatten früher ein Fremdenzimmer. « Ich schaue aufs GPS: Tatsächlich – eine Rausmühle gibt es – und sie liegt genau am Jakobsweg ! Der Camino sorgt also doch für mich!
    Naja, zumindest fast. In der Mühle gibt es nämlich doch kein Zimmer. Ich greife mir einen Kellner, der mit einem riesigen Jägerschnitzel an mir vorbeilaufen will. »Es wird hier sehr kalt nachts«, antwortet er auf meine Frage nach einem Zeltplatz. »Mein Schlafsack kann bis minus sieben Grad.« »Ist trotzdem schlecht, wegen der Hunde.« Er entwindet sich mir und bringt den Teller an einen der Außentische. Vielleicht sind die Hunde ja wenigstens an der Leine … »He, warte mal …« ein anderer Kellner, ein junger Mann, keine 20 Jahre, läuft mir hinterher. »Ein Zelt hast du, ja?« Ich nicke, auf meinen Stab gestützt.
    Nur 500 Meter! Das ist ja fast nix! Ich verkneife mir ein »vergelt’s Gott«, obwohl ich genau das denke. O. K., der genannte halbe Kilometer war Luftlinie, tatsächlich darf ich einer großzügig gekurvten Serpentine folgen, die mich zudem noch etwa 2.000 Meter in luftige Höhen führt. Aber gemeinsam mit meinem Pilgerstab schaffe ich es. Nur meine Füße fühlen sich an, als liefe ich auf Schlittschuhen – mit den Kufen
innen. Am Ende der Straße finde ich aber tatsächlich den Reiterhof, den der Kellner beschrieben hat. Davor sitzen eine Handvoll Leute beim Abendbrot. Ich stelle mich vor, so freundlich wie ein frischer Wurf Katzenbabys. »Da ist ’ne kleine Wiese«, sagt ein alter Mann, der von den anderen am Tisch als Werner angesprochen wird.
    O. K.: Die Wiese ist ein holpriges Stück Vorgarten, mit Grasbüscheln bewachsen, die aussehen, als ob sie gleich davonlaufen. Etwas abschüssig obendrein. Egal: Erstaunlicherweise bekomme ich mein Zelt relativ schnell errichtet. Beim ersten Versuch ist zwar noch alles auf links, aber dann geht es ratzfatz – und das Ding steht . Ich bin mächtig stolz. Als ich meine Muschel an den Giebel hänge, kommt Werner vorbei und fragt mich über meine Reise aus. Wo ich schon war? Wo ich noch hin will? Ich erfahre, dass seine Frau vor sechs Jahren gestorben ist. Werner muss einmal ein Hüne gewesen sein, der Zaunpfähle mit dem Daumen in den Boden gedrückt hat. Jetzt quält ihn sein Rücken, ohne seine Krücken kommt er kaum noch vorwärts. Er lädt mich zu einem Kaffee ein. Während ich spüre, wie mir die Brühe den Magen wärmt, erzählt Werner von seiner Frau. Und begreift nicht, dass man sich ganz bewusst alleine auf den Weg machen kann.
    Als ich mich später mit allerletzter Kraft in meinen Schlafsack schleppe, brennt und pocht die Blase unter meinem linken Fuß, als wäre dort ein irrer Chirurg mit Abu-Ghuraib-Diplom zugange. Ich kriege noch mit, wie wunderbar das Gras riecht und die feuchte Erde. In den Ställen nebenan schnauben Pferde. Dann bin ich weg.

Der frühe Tod des Blutpilgers vom Eifgental
Samstag, 11. April 2009 – Von irgendwo bei Wermelskirchen bis Altenberg
    Irgendetwas schnüffelt an meinem Zelt herum. Eine Ratte? Ein

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