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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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den ersten Worten gewinne ich den Eindruck, dass die Dame am anderen Ende der Leitung in ihrer Freizeit Elitesoldaten drillt. Trotzdem: Zimmer geht O. K. – es gibt sogar einen Pilger- rabatt! Hurra! Und: Es sind bereits zwei Pilger abgestiegen! Das beschleunigt meine Schritte! Kollegen! O. K.: Als ich das Licht im Empfangsraum anknipse, fühle ich mich erst einmal wie Jack Nicholson in diesem leeren Hotel in Shining. Die Besitzer sind nicht da, dafür dicke Ledermöbel, dunkle Teppichböden, Möbel aus dunklem Holz. Ich bin im 19. Jahrhundert. Greife mir aufs Geratewohl einen der bereitliegenden Schlüssel und arbeite mich über knarzende Dielen und knietiefe Teppiche treppaufwärts. Oben hängt einer dieser Kronleuchter mit Kerzenimitationen, aber die Wände scheinen ihr Licht vollständig zu verschlucken. Mein Zimmer hat gewagt gemusterte Vorhänge und ist ansonsten durch einen sehr bodenständigen Häkel-Charme charakterisiert. Getränke
gibt’s in einem Kühlschrank neben der Toilette. Aber mir würde schon ein Sack Stroh genügen, trinken würde ich zur Not auch aus der Toilettenschüssel! Ich ziehe meine Socken aus – was mir vorkommt, als würde ich einen Verband wechseln – und reiße mir ein völlig verschrumpeltes Blasenpflaster vom Fuß. Da könnte ich auch auf Murmeln laufen!
    Im Bad kommen mir allerdings fast die Tränen: Es gibt eine Wanne! Ich lasse augenblicklich heißes Wasser ein und versinke darin. Danke, Jakobsweg ! Allzu lange kann ich allerdings nicht drin bleiben: Mein Magen ist so leer wie der Kulturetat meiner Heimatstadt. Also nochmal raus!
    Lennep ist superhübsch, aber inzwischen so verlassen wie ein kalifornisches Nest nach dem Goldrausch; alle Läden sind längst zu. Und warum gibt es hier mehr Apotheken als Restaurants? Egal: Ein fleißiger Türke verkauft mir noch eine Flasche Mineralwasser und Wein. Bei einem Spanier bestelle ich etwas später einen Tintenfisch und Sardinen. Für draußen: Ich beginne allmählich, mich in geschlossenen Räumen unwohl zu fühlen. Die anderen Pilger bekomme ich nicht zu Gesicht.

Alles über das verrückte bergische Handynetz
Karfreitag, 10. April 2009 – Remscheid-Lennep bis irgendwo bei Wermelskirchen
    Heidi und Armin fegen gerade ihre Brötchenkrümel zusammen, als ich den Frühstücksraum betrete – offenbar haben sie auf mich gewartet. Witzig, dass jemand genau so neugierig auf mich ist wie ich umgekehrt: Ich bin aus dem Bett geklettert wie aus einem zwanzig Meter tiefen Brunnen, um rechtzeitig unten zu sein. Aber wir sind tatsächlich Kollegen: Die beiden haben sich von Paderborn aus auf den Jakobsweg gemacht und sind nicht an Beyenburg vorbeigelaufen. Hatten leider trotzdem Pech: Die Kirche wie zugenagelt, kein Pfarrer weit und breit. Jetzt zeigen sie mir den Stempel, den sie sich stattdessen in Remscheid geholt haben – und ich bin auf einen Schlag neidisch. Er ist von der spanischen katholischen Mission in Lennep! Stilechter geht es ja wohl wirklich nicht! Sie sind dort sogar auf Spanisch begrüßt worden … Für mich scheint es dagegen schon wieder auf einen tristen Hotelstempel hinauszulaufen – ist schließlich Karfreitag.
    Als wir unsere Reiseführer vergleichen, werde ich noch neidischer: Ihrer ist bestimmt eine halbe Tonne leichter ist als meiner. Egal: Heute möchten die beiden bis Altenberg. Jetzt erstarre ich vor Ehrfurcht – das sind fast 30 Kilometer! Ich will nur bis Wermelskirchen, obwohl ich gestern schon einen erheblichen Teil der heutigen Etappe abgelaufen bin. Nur noch läppische zehn Kilometer! Aber das habe ich mir verdient! Heidi und Armin sehen allerdings so drahtig aus, als ob sie jeden Tag 30 Kilometer im Laufschritt machen – mit einem Stapel Bibeln auf dem Rücken. Ich berichte von meinem bisherigen Pensum: Immerhin fast 100 Kilometer in vier Tagen. Heidi guckt, als wäre ich die Strecke barfuß gegangen.

    Nachdem sie nach oben sind, um ihre Rucksäcke zu holen, rede ich noch ein wenig mit der Hotelbesitzerin. Sie ist gar kein Drillsergeant, sondern nett und fröhlich wie eine italienische Mami – ich kriege sogar Pilgerrabatt auf meine Rechnung und werde ausgequetscht über’s Wandern, über den Weg … Keine Ahnung, was ihr gestern über die Leber gelaufen ist. Überhaupt wirkt das ganze Hotel heute Morgen viel freundlicher als gestern: Was

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