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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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einmal die Zeitungen an, die ich nachher mit einer dicken Tasse Cappuccino in aller Ruhe durchblättern werde, um dann, im güldenen Abendlicht, in ein lauschiges Restaurant zu schleichen. Alles, was mich davon trennt, ist ein Hotelzimmer! Das nächste wartet schon in wenigen hundert Metern auf mich – im: nennen wir es einmal »Hotel zur lahmen Ente«. Da ich mich inzwischen fühle wie ein falsch zusammengebauter Kleiderschrank, rufe ich sicherheitshalber an. »Moment … ja, kostet 67 Euro.« » Äh, gibt es vielleicht einen Pilgerrabatt?« »Hmmm. Warten Sie, da kommt meine Frau.« Es rumpelt kurz. Dann ist mein Gegenüber wieder online. »Ja, 55 Euro. Steht ja auch so im Reiseführer.« »Prima. Bin in fünf Minuten da.« O. K.: Eine Stange Geld, aber die Kulisse ist immerhin nett. Vor der Rezeption lasse ich sofort meinen Rucksack fallen. Ob es wieder eine Badewanne gibt? Vor mir sitzt eine stämmige Dame, die in ihrem Leinen-Trachtenkleid aussieht, als würde sie gleich ein Jodelkonzert geben. »Hallo! Ich habe eben mit Ihnen telefoniert, Sie wollten mir ein Zimmer freihalten.« »Ich habe nicht mit Ihnen telefoniert.« »Vor zehn Minuten.« »Ich habe die letzten zwei Stunden hier gesessen. Und mit niemandem telefoniert.«
Aus ihren Worten rieseln feine Eiskristalle. Irgendwie ist aus der Jodlerin gerade eine Art Barbara Salesch geworden. » Haben Sie denn noch ein Zimmer?« »Ja. 67 Euro.« Langsam habe ich das Gefühl, dass mir hier eine Kanuladung Felle wegschwimmt. Die Beute eines ganzen Winters. »Der Herr hat aber 55 gesagt!« Fast stampfe ich mit einem Fuß auf den Boden. »67 ist schon mit Rabatt. Vielleicht haben Sie sich verwählt. « Ich drücke auf die Wahlwiederholung meines Handys. Das Telefon hinter dem Counter klingelt. Ich schaue der Trachtendame tief in die Augen. »Naja, das kann in so einem kleinen Ort mal vorkommen, dass ein Anruf fehlgeleitet wird.« »Der Herr hat sich aber mit ›Zur lahmen Ente‹ gemeldet.« »Hören Sie, ich lass’ mich meinetwegen auf 57 Euro ein. Dann aber ohne Frühstück .«
    Mein Zorn verdampft, und die vielen regelmäßigen Schritte machen mich milde.
    Holla! Ob es eine Hölle gibt, in der Jakobspilgervernatzer schmoren? Da säßen dann jetzt schon mal zwei drin! Ich stehe vor dem Hotel und gehe wieder einmal meine Optionen durch. Schon wieder kein Zimmer, Durst wie eine Wüstenspinne, außerdem das dringende Bedürfnis, mich mit irgendwas zu belohnen und einen Stuhl brauche ich allmählich auch. Auf dem Weg zum Eiscafé versuchen Kinder obendrein, mir im Vorbeirennen meinen Wanderstab zu klauen. Trotzdem angekommen, bekomme ich ein winziges Glas Apfelschorle und einen Apfelkuchen zu einem Preis, mit dem ich dem Besitzer vermutlich ein Penthouse in London finanzieren soll. Das Schlimmste aber: Mein GPS enthüllt mir, dass es in Wermelskirchen kein Hotel mehr gibt! Zumindest nicht in der Nähe. Egal – die paar Kilometer bis zum Nächsten schaffe ich auch noch! Ich zahle – immerhin ist die Kellnerin so nett, meine Wasserflasche aufzufüllen, aber für den Preis
hätte ich bei mir zu Hause Apfelkuchen, Kaffee, zwei Goldbarren und einen Kasten Mineralwasser bekommen – und lasse den Ort so schnell wie möglich hinter mir. Wermelskirchen will mich nicht, also kriegt es mich auch nicht.
    Bald lerne ich allerdings eine weitere erfreuliche Eigenschaft des Jakobswegs kennen: Mein Zorn verdampft wie Zigarettenrauch auf dem Aussichtsdeck eines Ozeanriesen – die vielen regelmäßigen Schritte machen mich milde wie jungen Gouda. Es geht an einem niedlichen Flüsschen entlang, der Wald riecht gut, es ist warm, das junge Laub lässt Sonnenlicht in kleinen Flecken auf dem Weg tanzen. Direkt vor mir huscht eine Blindschleiche über den Pfad – he, wie lange habe ich so was nicht mehr gesehen! Eine Spaziergängerin spricht mich an und wünscht mir viel Erfolg bei meiner Wanderung. Bald fällt mir auf, dass ich trotz allem ein tierisches Tempo draufhabe. Warum beeile ich mich eigentlich so? Nach ein paar Metern erreiche ich eine kleine Bachbiegung, an deren Ufer warme Steine ihre bemoosten Rücken in die Sonne halten. Werde langsamer. Gehe dran vorbei. Kehre um, reiße mir Schuhe und Socken herunter und tunke meine Füße ins Wasser. Es ist kühl wie ein Abklingbecken. Wie viel

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